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Zeit ist knapp, Zeit ist Geld – zack, zack!

Ob Grüezi, Servus oder Hallo – im deutschsprachigen Raum unterscheiden sich nicht nur die Begrüßungen. Das zeigt sich auch im Interview mit Philipp Muster, Direktor des Swiss Shippers’ Councils, und Hagen Pleile, Leiter des BVL Competence Center Austrian Shippers’ Councils, die uns Deutschen einmal den Spiegel vorhalten.

Hagen Pleile, Leiter des BVL Competence Center Austrian Shippers Council, (links) und Philipp Muster, Direktor des Swiss Shippers’ Councils (rechts)
Fotos: ZEISCH.CH, ISTOCKPHOTO/KAMESHKOVA/SVETA_AHO/ALEXANDRA KIRICHENKO

LOGISTICS PILOT: Herr Muster, Herr Pleile, steigen wir doch gleich mal landestypisch ganz direkt ein: Was ist der größte Fauxpas, den wir Deutschen machen können?
HAGEN PLEILE: Ich kann hier natürlich nur nach meinen persönlichen Erfahrungen gehen. Da erlebe ich Deutsche oft als sehr gradlinig und im Vergleich zu uns Österreichern weniger verhandlungsbereit. So nach dem Motto: Ich bearbeite meinen Verhandlungspartner so lange, bis der verzweifelt aufgibt. Bei deutschen Politikern wie Wirtschaftsminister Robert Habeck kommen diese Direktheit und das weniger Ideologische wiederum gut an.
PHILIPP MUSTER: Da kann ich gut anknüpfen: Direktheit ist etwas, was der Schweizer nicht gewohnt ist. Außerdem sind wir auch sehr konsensorientiert und lange Abstimmungen gewohnt, was sich natürlich auf unseren Verhandlungsstil auswirkt. Der für uns wohl größte Fauxpas ist aber, wenn sich Deutsche abmühen, Schweizerdeutsch zu sprechen. Und: Wenn wir in eine Bäckerei gehen, sagen wir nicht wie Deutsche: „Ich hätte gern ein Brot“, sondern wir fragen: „Darf ich bitte ein Brot kaufen?“
PLEILE (lacht): Und wir sagen: „Was hätten’s denn im Angebot?“ – und schon ist der Raum für einen Plausch eröffnet.

LOGISTICS PILOT: Also stünde uns etwas mehr Charme und Geschmeidigkeit gut zu Gesicht?
PLEILE: Ja, wir Österreicher haben ein schlechtes Gewissen, wenn man es nicht allen recht machen kann. Da sind uns die Menschen in Bayern und Baden-Württemberg schon ähnlicher als im restlichen Deutschland.
MUSTER: Weniger Überkorrektheit wäre auch gut. Zum Beispiel bei länderübergreifenden Abstimmungen mit dem Zoll sind die Deutschen oft pingelig. Wir, als Dienstleistervolk, sind da sehr pragmatisch und bodenständiger. Etwas mehr Innovationen dürften es da auf deutscher Seite sein.

Gibt es denn auch ein positives Image, das Sie uns Deutschen zuschreiben?
PLEILE: Das ist ganz klar die wirtschaftliche Stärke. Und da fragen wir uns natürlich: Was macht die Deutschen so erfolgreich? In manchen Grundzügen ist die Direktheit also gut. Unter Österreichern ist zum Beispiel oft nicht klar, was der Verhandlungspartner will. Wir Österreicher finden daher auch manchmal kein Ende. Da können mehr Hartnäckigkeit und Klarheit durchaus positiv sein, auch wenn es zum Teil negativ rüberkommt. Das könnte man sich aneignen, um eigene Sachen schneller vorwärtszubringen.

LOGISTICS PILOT: Apropos Schnelligkeit, Herr Muster: Wie ist es denn bei der Geschwindigkeit in der Sprache, die sich im Vergleich zur Schweiz schon unterscheidet. Wirken wir auf Sie wie ein Volk der Schnellsprecher, und wie kommt das an?
MUSTER: Auch für uns Deutschschweizer ist das Hochdeutsche eine Fremdsprache. In der Mundart wird schneller gesprochen, und in Bern leben die ganz langsamen Sprecher. Mit vier Landessprachen muss man aber immer einen Konsens finden, deshalb ist mir das so nicht aufgefallen. Wir sind durch Rundfunk und Fernsehen auch von Kindheit an daran gewöhnt.

LOGISTICS PILOT: Durch die Dominanz des Hochdeutschen gehen so schöne Worte wie Paradeiser und Erdäpfel verloren. Kaufen auch Österreicher längst Aprikosen?
PLEILE: Natürlich setzt sich das internationale Deutsch immer stärker durch. Früher habe ich schon Paradeiser und Erdäpfel gesagt, heute sind es auch für mich Tomaten und Kartoffeln. Aber Aprikosen würde ich nie sagen, das sind Marillen!

LOGISTICS PILOT: Nehmen Sie das nicht als Verlust von kultureller Identität wahr?
PLEILE: Nein, das empfinde ich nicht so. Ich betrachte das wie Anglizismen, die eben auch dazugehören. Wir nehmen die Begriffe, die einfach und unkompliziert sind. Auch Kukuruz sagt kaum noch jemand, sondern Mais. Aber natürlich heißt es nicht Käsekuchen, sondern Topfenkuchen und Schlagobers statt Schlagsahne – und das wird auch so bleiben.

LOGISTICS PILOT: Ein anderes Thema. Ganz unterschiedlich wird in unseren drei Ländern ja auch mit Titeln umgegangen – wie ergeht es Ihnen damit?
MUSTER: In der Schweiz werden Doktortitel – außer in der Medizin – gern verschwiegen und auch nicht auf Visitenkarten gedruckt. Wir Schweizer möchten nicht überheblich sein. Sich etwa mit „Ich bin Dr. Sowieso“ vorzustellen, würde mir zu weit gehen.
PLEILE: Ich bin damit aufgewachsen. Nach der Monarchie spielen wir nun eben mit akademischen Titeln. Als Kind fand ich es immer praktisch, dass man sich dann nicht die Namen merken muss, sondern einfach Herr Doktor sagen kann.

LOGISTICS PILOT: Was sollten wir Deutschen unbedingt tun, um uns über Ländergrenzen hinweg noch besser mit unseren Nachbarn zu verständigen?
MUSTER: Ich denke, die Kommunikation und Zusammenarbeit sind schon sehr gut.

LOGISTICS PILOT: Ich habe gelesen, dass Deutsche nicht immer als freundlich und höflich genug wahrgenommen werden. Wie sehen Sie das?
PLEILE: Manchmal kommt es mir tatsächlich so vor, als würde Freundlichkeit nur als Mittel zum Zweck eingesetzt, damit die anderen zustimmen. In Österreich ist es wichtig, eine Atmosphäre der Gemütlichkeit und des Zusammengehörigkeitsgefühls zu schaffen. Zu viel Gradlinigkeit und Direktheit kommen nicht gut an. Wichtig ist es, das Wertigkeitsgefühl zu steigern, sodass beim anderen ankommt: Es macht mir Spaß, mit dir zusammenzusitzen. Und nicht: Zeit ist knapp, Zeit ist Geld – zack, zack!
MUSTER: Der Hintergrund ist, so denke ich, kulturell. Bei uns gilt: Wenn ich mich wohlfühle, bin ich willkommen. Da trifft unsere Dienstleistungsgesellschaft, die allerdings zum Beispiel in Bezug auf Finanzen zum Teil auch übertreibt, auf die Deutschen als ehemalige Kolonialherren, die gern vorgehen. Da sind wir schon sehr unterschiedlich geprägt. Verstehen tun wir uns ja zum Glück trotzdem. (cb)

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