Das Start-up Mansio will den Straßengüterverkehr mithilfe von KI neu erfinden. Dazu werden lange Transportstrecken in Teilstrecken zerlegt, auf denen regionale Transporteure operieren und mit Begegnungsverkehren im Verbund zusammenarbeiten. An Wechselpunkten werden die Sattelauflieger an den nächsten Fahrer übergeben. Das soll gleich mehrere Branchenprobleme lösen.
Könnte man dieses Prinzip nicht auch auf den Straßengüterverkehr übertragen? Mit dieser Idee gründete Schürmeyer 2022 das Start-up Mansio, führte Studien durch, las sich tief in die Materie ein und führte zahlreiche Gespräche mit Lkw-Fahrern, Geschäftsführern und Speditionsleitern ebenso wie mit Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften und Juristen. „Natürlich nur mit Personen, die die Idee nicht kopieren würden“, unterstreicht Schürmeyer.
Beginn als Lean Start-up
Finanzielle Unterstützung hatte der Gründer in dieser Phase keine. „Ein Problem war, dass es eine sehr große Vision ist, für die man ein passendes Produkt jahrelang entwickeln muss.“ Also begann man als Lean Start-up zunächst eine kleine marktfähige Komponente zu entwickeln, indem bestehende Begegnungsverkehre mithilfe einer ersten Softwarekomponente digitalisiert wurden.
Zielgruppe dafür waren zunächst mittelständische Speditionen. Typische Verkehre sind insbesondere die langen Strecken von Hub zu Hub oder von Paketzentrum zu Paketzentrum. Diese werden von KEP-Dienstleistern durchgeführt, wo mittelständische Unternehmer mit Fahrer und eigenen Zugmaschinen effizient organisiert sind. „Hier gibt es jeden Tag den gleichen fahrplanmäßigen Ablauf, und die Wechselbrücke gehört dem KEP-Dienstleister – optimal für den Mehrschichtbetrieb“, berichtet Schürmeyer.
Prozessoptimierung im ersten Schritt
Die Komplexität liegt in der Kommunikation: Bereits bei bestehenden Begegnungsverkehren sind viele verschiedene Parteien mit ihren jeweiligen IT-Systemen involviert. So müssen beispielsweise der Disponent und der Lkw-Fahrer mit anderen Frachtführern in Kontakt treten. Wenn es zu Verspätungen kommt, muss das Depot kontaktiert werden. „Nicht alle diese Kommunikationsprozesse sind digitalisiert und automatisiert. Im ersten Schritt haben wir uns hier ausschließlich um die Prozessoptimierung gekümmert“, berichtet der Gründer.
„Die Innovation kam dann erst im zweiten Schritt. Als wir verstanden hatten, wie das funktioniert, haben wir uns gefragt, wo künstlich Begegnungsverkehre geschaffen werden können“, betont Schürmeyer, „und das nicht nur für eine Spedition, sondern im Verbund, das heißt unternehmensübergreifend mit der entsprechenden zeitlichen Dynamik.“
Die derzeit zehn Mitarbeiter des Start-ups Mansio wollen den Straßengüterverkehr von Aachen aus effizienter, sozialer und umweltfreundlicher gestalten.
Im Ergebnis prüft die KI dann, wo solche Begegnungsverkehre stattfinden können, und verknüpft zwei oder mehr passende Transportaufträge. „Das geht nicht nur bei paarigen Begegnungsverkehren, sondern es können auch Dreiecks- und Vierecksverkehre sein“, so der CEO. „Und ein Kreistausch von mehreren Fahrzeugen, die sich an einem Punkt treffen und die Trailer tauschen, ist ebenfalls möglich.“
Potenzial sieht man bei Mansio in dreierlei Hinsicht. Zunächst ökonomisch: „Im Zweischichtbetrieb können wir die Fixkosten halbieren oder mit der gleichen Anzahl von Fahrzeugen den doppelten Umsatz generieren, was durch die steigenden Investitionskosten für Fahrzeuge mit sauberem Antrieb in Höhe von rund einer halben Million Euro immer wichtiger wird“, stellt der Geschäftsführer heraus.
Statt 14 Stunden Ruhezeit werden für den Umsattelvorgang lediglich 20 Minuten benötigt. „Außerdem vermeiden wir Leerfahrten, indem durch unser Matching die Anfahrt zu Rückladungstouren entfällt.“ Nicht zuletzt könne so auch die Geschwindigkeit vergrößert werden, wenn hintereinander gekoppelt Strecken, etwa nach Südspanien, ohne die Unterbrechung von Ruhezeiten zurückgelegt werden können.
Fahrzeugübergabe statt Parkplatzsuche
Hinzu kommen soziale Aspekte wie die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, wenn der Fahrer nach viereinhalb Stunden das Fahrzeug tauscht und wieder zurückfährt. „Das macht den Beruf auch für Frauen, die heute nur zwei Prozent der Fahrer stellen, viel attraktiver“, glaubt Schürmeyer. Überdies entfällt die für die Fahrer anstrengende Suche nach knappen Parkplätzen.
Nicht zuletzt bietet das Konzept ökologische Vorteile: Während auf der letzten Meile viele batterieelektrisch angetriebene Fahrzeuge zum Einsatz kommen, fehlen für lange Strecken noch die erforderliche Ladeinfrastruktur und die Reichweite. „Wenn wir aber lange Strecken in kurze verwandeln, funktioniert es“, so der Geschäftsführer.
„Besonders gut eignen sich Strecken, die zwischen 300 und 1.500 Kilometer lang sind“, erläutert der Gründer. „Und es sollten nicht zu viele Begegnungen hintereinander sein.“ Das entspricht auch dem realen Transportaufkommen im europäischen Straßengüterverkehr: „Der Großteil sind kurze Strecken zwischen 300 und 1.000 Kilometer, der Markt für uns ist also riesig.“
Das Konzept hat das inzwischen durch einen Mix aus reinen Finanzinvestoren, einem Förderprojekt und Umsatz finanzierten Start-up bereits aufs Siegertreppchen des „Digital Logistics Awards“ geführt. Mansio kooperiert seit Sommer 2023 mit dem Ladungsverbund Elvis. Im Januar wurde gemeinsam mit 17 Partnern mit der Pilotphase des neuen Cross-Load-Netzes begonnen. Zudem arbeitet das Start-up seit Dezember mit L. O. S., der Logistikplattform von Bosch, zusammen. Das Ziel ist definiert: Für Begegnungsverkehr will man die Nummer eins in Europa werden. (cb)
Fakten
Mansio
Gegründet: 2022
Standort: Aachen
Geschäftsfeld: intelligente Technologie für den Straßengüterverkehr
Mitarbeiter: 10