dbh-Vorstand Marco Molitor spricht im Interview mit dem LOGISTICS PILOT über die Unterschiede bei der Digitalisierung in großen und kleinen Unternehmen, über die Beschleunigung des digitalen Wandels durch die Coronapandemie und die Anforderung, die Digitalisierung verstärkt in das Bewusstsein der Allgemeinheit zu bringen.
Marco Molitor: Ich finde es schwierig, in der heutigen Zeit, in der sich unser Alltag komplett ändert, Pauschalaussagen zu treffen, insbesondere wenn es um die deutsche Wirtschaft geht. Denn gerade dort lassen sich erhebliche Unterschiede feststellen. Da sind die großen Unternehmen, die bereits viel in neue Technologien investieren und den digitalen Wandel aktiv mitgestalten. Sie haben allerdings sowohl die finanziellen als auch die personellen Mittel dafür. Dem klein- und mittelständischen Betrieb mit 20 Mitarbeitenden, die bereits voll ausgelastet sind, fällt dies viel schwerer. Da Sie nach Bereichen fragen, in denen es besonders gut läuft: Die Hafenwirtschaft ist in Sachen Digitalisierung bereits gut aufgestellt. In der Logistik hingegen gibt es noch viel Potenzial.
Logistics Pilot: Worauf führen Sie den aktuellen Entwicklungsstand zurück? Fehlt den Unternehmen hierzulande der erforderliche Mut, um digitale Innovationen umzusetzen, oder ist die Notwendigkeit dafür noch nicht im allgemeinen Bewusstsein angekommen?
Marco Molitor: Doch, die Notwendigkeit, in neue Technologien zu investieren, ist mittlerweile in den meisten Unternehmen angekommen. Doch wie gesagt kann sich nicht jeder das auch leisten. Und Sie haben recht: Vielen fehlt sicherlich auch der Mut, oder bei ihnen ist die Bereitschaft teilweise sehr unterschiedlich ausgeprägt. Viele Unternehmen agieren nach dem Motto „Fortschritt: Ja, aber bitte mit möglichst wenig Veränderung!“ Oftmals kommt erst der Wille zur Veränderung, wenn Probleme auftreten, beispielsweise eine Zollprüfung oder ein Hackerangriff. In dieser Hinsicht muss sich unser allgemeines Mindset wandeln.
Logistics Pilot: Hat Corona Unternehmen bei ihrer digitalen Transformation eher ausgebremst oder angeschoben? Und hat der Krieg in der Ukraine dazu beigetragen, dass die Verantwortlichen sensibilisierter für IT- und Datensicherheit geworden sind?
Marco Molitor: Die Coronapandemie hat auf jeden Fall zur Beschleunigung des digitalen Wandels beigetragen. Videokonferenzen, mobiles Arbeiten und Webinare – um nur einige Beispiele zu nennen – gab es natürlich auch schon vorher, doch in Lockdownzeiten wurden diese Bereiche rasant ausgebaut. Allerdings kostet die digitale Transformation Geld. Kleinere Betriebe haben dieses Geld nicht, und das bremst sie im Sinne des digitalen Wandels aus. Hinzu kommt, dass die entscheidenden Personen teilweise nicht unbedingt diejenigen sind, die sich mit dem digitalen Wandel auskennen und erkennen, welche Schritte notwendig sind. Was den Ukraine-Krieg angeht: Datensicherheit war schon vorher ein bedeutender Faktor, doch die Zahl der Anfragen nach Sicherheitslösungen ist seitdem enorm in die Höhe geschossen. Ein Beispiel: Unser Rechenzentrum war vor Beginn des Krieges rund 10.000 Hackerangriffen pro Tag ausgesetzt, jetzt sind es 40.000. Wir können damit gut umgehen. Jedoch sollte sich jedes Unternehmen aktiv um seine Datensicherheit bemühen. Unsere Aufgabe muss es deshalb sein, die Verantwortlichen jeweils dahin gehend zu sensibilisieren, dass IT-Sicherheit heutzutage mehr denn je ein relevantes Thema ist und dass ausreichende Ressourcen für diesen Bereich zur Verfügung gestellt werden müssen. Alternativ besteht die Möglichkeit, das Thema in professionelle Hände zu geben.
Logistics Pilot: Was braucht es, damit digitale Technologien in Deutschland noch schneller und umfassender zum Einsatz kommen?
Marco Molitor: Auf jeden Fall brauchen wir eine deutliche Verbesserung der digitalen Infrastruktur. Stichwort 5G. Der Ausbau läuft derzeit schon, aber meiner Meinung nach nicht schnell und effizient genug. Netzabbrüche sind immer noch ein großes Thema, andere Länder sind in dieser Hinsicht schon viel weiter. Auch der Fachkräftemangel ist – wie in so vielen Branchen – ein großes Problem. Wir müssen die IT verstärkt in das Bewusstsein der Allgemeinheit bringen und uns zeitig um qualifizierten Nachwuchs kümmern – etwa indem Informatik viel früher an den Schulen als Unterrichtsfach eingeführt wird.
Logistics Pilot: Welches Digitalisierungsprojekt hat Sie in den vergangenen Monaten am meisten überzeugt?
Marco Molitor: Die Antwort auf diese Frage ist einfach: unser Digitalisierungsprojekt „PRINOS“ – Port Railway Information and Operation System. Seit knapp drei Jahren entwickelt die dbh Logistics IT AG für die Bremische Hafeneisenbahn dieses neue IT-System, das die Prozesse bei der Planung von Kapazitäten, der Disposition und der Entgeltabrechnung erheblich beschleunigt. Ein echtes Change-projekt, das für eine verbesserte Effizienz und Transparenz sorgt. In Bremen-Grolland haben wir „PRINOS“ bereits erfolgreich einführen können, im Sommer dieses Jahres soll Bremerhaven folgen. (bre)
„Wir brauchen eine deutliche Verbesserung der digitalen Infrastruktur.“
dbh-Vorstand Marco Molitor
ChatGPT besitzt das Potenzial, Google und Co. den Rang abzulaufen
Seit das US-amerikanische Unternehmen OpenAI den ersten Prototyp des Chatbots „ChatGPT“ – das steht für Generative Pre-trained Transformer – im November 2022 veröffentlichte, ist diese Technologie in aller Munde. Dabei nutzt ChatGPT künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen, um auf Fragen zu antworten. Das Wissen des Chatbots basiert auf einem riesigen Datensatz von Texten und Gesprächen, die aus verschiedenen Quellen im Internet stammen. Im Laufe seiner Entwicklung hat ChatGPT kontinuierlich verbesserte Techniken und Algorithmen erlernt, um immer präzisere Antworten geben zu können.
Über die neue KI-Technologie sagt Daniel Becker, Head of IT bei bremenports: „ChatGPT hat in seiner derzeitigen Entwicklungsstufe alle bisherigen KI-Modelle und Anwendungen überholt und wird den Markt und das bisher Dagewesene neu sortieren. Eine derartige Technologie besitzt das Potenzial, selbst Google und Co. den Rang abzulaufen.“ Die neueste Version „ChatGPT-4“ hat aus seiner Sicht „die Performance, um Antworten zu komplizierten Fragestellungen auf menschlichem Level zu liefern, und das in einer sehr hohen Geschwindigkeit“. Viele KI-Forscher weisen allerdings darauf hin, dass der Chatbot noch am Anfang seiner Entwicklung steht und dass die gegebenen Antworten noch fehlerhaft sein können. Deshalb solle man diese auf jeden Fall hinterfragen und noch einmal gegenprüfen.
Auch Hendric Maasch, Leiter für kaufmännische Angelegenheiten und IT bei Niedersachsen Ports und beim JadeWeserPort, sieht eine wesentliche Herausforderung darin, die Quellen der entstehenden Aussagen auszumachen und die Richtigkeit der Ergebnisse zu beurteilen. Zudem betont er: „In der Anwendung unserer menschlichen Sprache stecken gewisse Annahmen von Verständnis, welche der KI ‚noch‘ fremd sind. Daher sollten bei Anfragen zum Beispiel Pronomen vermieden werden, weil ChatGPT diese oft auf falsche Substantive aus vorangegangenen Sätzen bezieht.“ Dennoch ist auch Maasch überzeugt, dass diese Technologie ein wesentlicher Baustein zur Verfügbarkeit von Wissen sein wird. Insbesondere Lehrkräfte an Schulen werden in Zukunft aber wohl noch intensiver prüfen müssen , was erarbeitetes Wissen ist und was die Technologie geliefert hat. (bre)
„ChatGPT hat in seiner derzeitigen Entwicklungsstufe alle bisherigen KI-Modelle und Anwendungen überholt und wird den Markt und das bisher Dagewesene neu sortieren.“
Daniel Becker, Head of IT bei bremenports
„In der Anwendung unserer menschlichen Sprache stecken gewisse Annahmen von Verständnis, welche der KI ‚noch‘ fremd sind.“
Hendric Maasch, Leiter für kaufmännische Angelegenheiten und IT bei Niedersachsen Ports/JadeWeserPort