Kleinere See- und Binnenhäfen standen bislang nicht unbedingt im Blickpunkt der IT-Firmen. Dabei können mithilfe der Digitalisierung auch hier einige Prozesse optimiert werden. Wie das geht, zeigt die von den IT-Dienstleistern dbh und Akquinet entwickelte Cloud-Lösung „Hafenmeister“.
Fotos: FREEPIK/KANAWATTH, HAFEN TRIER (2)
Die Containerisierung macht auch vor den kleineren See- und Binnenhäfen nicht halt. Wie zuvor in den großen Seehäfen, zum Beispiel in Bremerhaven und Wilhelmshaven, steigt angesichts von immer mehr umgeschlagenen Boxen auch hier der Bedarf an der Digitalisierung der Prozesse. Zudem müssen Binnenhäfen immer stärker mit den Seehäfen kommunizieren. „Bisher wird in kleineren See- und Binnenhäfen noch vieles in Excellisten eingepflegt oder händisch im System erfasst“, berichtet Norbert Klettner, Geschäftsführer von Akquinet Port Consulting in Bremerhaven. „Das war in Ordnung, solange per Hand der Empfang von beispielsweise x Tonnen Kohle abgerechnet werden musste, ist aber bereits bei einer kleineren Zahl von Containern mit verschiedenen Güterarten recht aufwendig.“
So entstand die Idee, auch den kleineren Häfen eine Softwarelösung für den Hafenbetrieb anzubieten. „Wir haben darin Potenzial gesehen und uns deshalb mit dbh aus Bremen und dem Hafen Trier für eine Entwicklungspartnerschaft zusammengetan“, so Klettner. Das Ziel: ein cloudbasiertes Hafenmanagementsystem mit Schnittstellen unter anderem zu Umschlagsbetrieben, Ämtern und zur Buchführung, das das tägliche Arbeiten erleichtert und effizienter macht. Ende 2019 begannen die beiden Unternehmen mit der Softwareentwicklung und hatten mit einem Team aus zeitweise bis zu acht Entwicklern bereits Mitte 2020 ein minimal funktionsfähiges Produkt (auf Englisch Minimal Viable Product, kurz MVP) entwickelt. Investiert wurde eine mittlere sechsstellige Summe.
Hafen Trier ist Pilotkunde
„Wichtig war es uns, einen Pilotkunden zu finden und Input aus dem Tagesgeschäft zu bekommen“, erläutert Klettner. „Dass der Hafen Trier Interesse zeigte, hat uns also sehr gefreut.“ Bis September 2020 wurde die Software dann ganz agil und im engen zweiwöchentlichen Austausch mit dem Binnenhafen entwickelt, sodass die Anwendung auch den realen Anforderungen entsprach. Ab Oktober 2020 wurde der „Hafenmeister“ vor Ort im Parallelbetrieb zur bisherigen Arbeitsweise getestet, und seit dem 1. Januar dieses Jahres ist die Anwendung ausschließlich im Einsatz.
Seitdem kann in Trier eine ganze Reihe von Dienstleistungen digital abgebildet werden. Die Mitarbeiter müssen beispielsweise die Schiffe und Züge nicht mehr händisch registrieren und brauchen den Umschlag inklusive Eichung und Container nicht einzeln manuell zu erfassen. Fehler werden dadurch vermieden, Daten können einfach importiert werden. „Dank der Schnittstellen erfolgt auch die Abrechnung von Gebühren und Leistungen automatisiert“, erläutert Klettner. Selbst die Geschäftsberichte mit wichtigen Hafenkennzahlen können ebenso wie andere Berichte jederzeit abgerufen werden. „Möglich ist außerdem eine einfache Rechnungslegung inklusive des Exports in Finanzsysteme wie Datev.“ Sofern die benötigten Tarife hinterlegt sind, kann zum Monatsende für jeden Kunden eine Sammelrechnung für den Umschlag erstellt werden.
Fakten
Akquinet
Gründung: 2002
Unternehmensstandorte: Hamburg (Hauptsitz) und 26 weitere Standorte in Deutschland und Österreich; Hauptsitz von Akquinet Port Consulting: Bremen und Bremerhaven
Dienstleistungen: IT-Beratungsunternehmen, unter anderem spezialisiert auf Logistik und maritime Prozesse
Umsatz: 130 Millionen Euro (2020)
Mitarbeiter: 920
Auch für kleinere See- und Binnenhäfen wird die Digitalisierung angesichts des steigenden Containerumschlags immer wichtiger.
Statistik mit einem Klick
„All das bedeutet nicht, dass die Mitarbeiter nicht mehr gebraucht werden, sie haben bloß mehr Zeit für andere Aufgaben“, unterstreicht Klettner. Auch die Arbeit aus dem Homeoffice in Pandemiezeiten werde durch das browserbasierte System vereinfacht. „Mit der ‚Hafenmeister‘-Lösung haben wir einen vollständigen und sofortigen Überblick über unsere Schiffsanläufe und Umschlagsdaten“, beschreibt der Geschäftsführer der Trierer Hafengesellschaft, Volker Klassen, die Vorteile. Die Daten für das Statistische Landesamt Rheinland-Pfalz könnten so beispielsweise mit nur einem Klick erstellt werden. Ebenso sind die vorgeschriebenen Meldungen an das Wasser- und Schifffahrtsamt über die Anwendung möglich. Außerdem seien die Daten einheitlich und durchgehend im System hinterlegt, da deutlich weniger manuell erfasst werden muss.
Eine weitere Besonderheit: Bei der Softwarelösung „Hafenmeister“ zahlen die Kunden nach dem Prinzip Pay per Tonne, also nur für die tatsächlich im Hafen umgeschlagene Tonnage. Dieses Geschäftsmodell ist angelehnt an das 1962 von Rolls-Royce eingeführte Power by the Hour. Statt ein Flugzeugtriebwerk zu verkaufen, wurden dort die Betriebsstunden fakturiert. Inzwischen kommt dieses System unter der Bezeichnung Pay per Use in vielen Branchen zum Einsatz, beispielsweise beim Carsharing, bei Softwarelösungen und eben beim Cloud-Computing. Bezahlt werden nur die tatsächlich in Anspruch genommenen Leistungen in Abhängigkeit vom Umschlagsvolumen. Eine Lizenz muss nicht gekauft werden.
Sicherheit durch die Cloud
Da es sich beim „Hafenmeister“ um eine Cloud-Lösung handelt, bieten sich den Nutzern aber noch weitere Vorteile, unterstreicht der Akquinet-Geschäftsführer. „Da der Zugang über den Browser erfolgt, ist nur eine stabile Internetverbindung erforderlich und keine Installation vor Ort.“ Zudem werde die Sicherheit der Daten gewährleistet, da die Daten in unserer eigenen Cloud in unserem vom TÜV zertifizierten Hochsicherheitsrechenzentrum liegen“, so Klettner. In Zeiten zunehmender Cyberangriffe und in Bezug auf die Einhaltung der Anforderungen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gewinne das immer mehr an Bedeutung.
Auch deswegen könnte der Bedarf an der Softwarelösung in anderen kleineren und mittelgroßen See- und Binnenhäfen steigen. „Wir sind derzeit mit weiteren Häfen im Gespräch“, berichtet der Geschäftsführer. Ein Teil der Anforderungen von Seehäfen kann mit der bestehenden Softwarelösung bereits abgebildet werden. Andere wie das zentrale Meldesystem für den gesamten deutschen Seeschiffsverkehr (National Single Window, kurz NSW) müssten innerhalb des Seehafenmoduls ausgebaut werden. „Das ist grundsätzlich aber kein Problem“, betont Klettner. „Innerhalb weniger Monate können wir jeden kleinen Seehafen anbinden.“ (cb)