Die Ostfriesische Volksbank ist gewissermaßen wie ein Katamaran auf zwei Rümpfen für die Schifffahrt unterwegs – zum einen über ihre Abteilung Seeschifffahrt, zum anderen über ihre Niederlassung Bank für Schifffahrt, die als Spezialfinanzierer für die Binnenschifffahrt fungiert.
Fotos: ISTOCKPHOTO/AVIGATORPHOTOGRAPHER/VENEMAMA, OSTFRIESISCHE VOLKSBANK
Denn während er und seine Kollegen derzeit für rund 300 Seeschiffe – von Containerschiffen, Kümos und Multipurpose-Frachtern über Heavy Lifter und Bulkcarrier bis hin zu Tankern – verantwortlich sind, hat das Team von Dieter Schneider, Leiter der BfS, aktuell ein Auge auf rund 440 Binnenschiffe. Deren Palette umfasst sowohl Tank- und Trockengutschiffe als auch Fahrgastschiffe, bis auf wenige Ausnahmen mit einer maximalen Länge von 110 Metern und einer Breite von bis zu 11,45 Metern. „In letzterem Segment kümmern wir uns derzeit ausnahmslos um Tagesausflugsschiffe ohne Kabinen, also nicht um Flusskreuzfahrtschiffe“, grenzt Schneider das Geschäftsfeld ein und führt drei elementare Unterschiede zwischen den beiden Aktivitätsfeldern der Ostfriesischen Volksbank an: „Im Gegensatz zu den Seeschifffahrtskolleginnen und -kollegen sind wir überwiegend national ausgerichtet. Zudem sind die Finanzierungshöhen in der Binnenschifffahrt in der Regel niedriger und die Laufzeiten der Kredite meist länger.“
Deutsche Flotte und Bankaktivitäten geschrumpft
Auf die Entwicklung der Schiffsfinanzierung seit der Lehman-Bankenkrise im Jahr 2008 schauen beide Experten sowohl mit einem weinenden als auch einem lachenden Auge. „Vor 15 Jahren hatte der deutsche Schiffsfinanzierungsmarkt ein Volumen von über 100 Milliarden Euro, nun ist er auf rund 10 Milliarden Euro, also auf ein Zehntel zusammengeschrumpft“, erklärt Mülder. Das sei aus seiner Sicht eine bedenkliche Entwicklung. Da die Ostfriesische Volksbank seit jeher dem Leitgedanken gefolgt sei, nicht mehr als 20 Prozent ihres Portfolios über die Schiffsfinanzierung abzudecken, habe sie die Krise deutlich besser überstanden als manche Großbanken. Heute sei die Genossenschaftsbank eine der wenigen nationalen Banken mit einem Schwerpunkt in diesem Marktsegment. Aus Sicht der Binnenschifffahrt ergänzt Schneider: „Wir waren nicht so stark von der Krise betroffen wie andere Binnenschiffsfinanzierer, da wir bewusst keine Vollfinanzierungen begleitet haben und unsere Kundinnen und Kunden Eigenkapital eingebracht haben. Wir konnten und haben auch in der Krise neue Projekte finanziert. Wenn man die vergangenen zehn Jahre betrachtet, hat sich unser Kreditportfolio in diesem Zeitraum sogar mehr als verdoppelt.“
Vor diesem Hintergrund hat der Schifffahrtsstandort Deutschland nach Einschätzung der beiden Banker in den zwei zurückliegenden Dekaden zwar nicht den Anschluss verloren, aber dennoch erheblich an Substanz eingebüßt. „Die deutsche Handelsflotte lag einmal bei über 4.000 Schiffen, heute sind es knapp 1.800. Ich denke, diese Zahlen sprechen eine deutliche Sprache“, so Mülder. Für Schneider haben viele Länder flexibler als Deutschland auf die Entwicklungen der vergangenen Jahre reagiert. Eine Folge sei, dass sich die Bankenlandschaft rund um das Schifffahrtgeschäft in der Bundesrepublik inzwischen auf eine gute Handvoll Anbieter reduziert habe. „Den Niederlanden und anderen Ländern ist es gelungen, ihre Zurückhaltung deutlich schneller abzulegen und sich nach der Krise intensiver auf die Schiffsfinanzierung zu fokussieren“, bilanziert Schneider.
Investitionsklima „spürbar abgekühlt“
Zurzeit registrieren sowohl Schneider als auch Mülder eine deutliche Zurückhaltung im Markt, wenn es um die Neubaufinanzierung geht. „Ob Coronapandemie, der Krieg in der Ukraine oder die reduzierte Konsumneigung aufgrund der Energiekrise – all diese Entwicklungen haben ihre Spuren hinterlassen und zu einer großen Unsicherheit geführt, so dass das Investitionsklima spürbar abgekühlt ist“, fasst Mülder zusammen. „Allerdings hat der russische Angriffskrieg indirekt dazu geführt, dass es derzeit eine Renaissance der Steinkohletransporte gibt, da die Leistung der Kohlekraftwerke temporär höhergefahren wurde“, ergänzt Schneider.
Für die Zukunft ruhen die Hoffnungen der beiden vor allem auf einem Transformationsprozess beider Schifffahrtsbereiche zur „grünen Schifffahrt“ – zum Beispiel mit Investitionen der Eigner in neue umweltfreundliche Technologien und in moderne Antriebe. Zudem hat Schneider in der Binnenschifffahrt einen Trend zu neuen Schiffen mit geringerem Tiefgang ausgemacht, um dem Niedrigwasserproblem besser die Stirn bieten zu können. „Aktuell begleiten wir circa 25 Neubauvorhaben, welche vertraglich fixiert sind und 2022 bis 2024 abgeliefert werden sollen. Für weitere 35 Schiffe, welche ab 2024 folgen sollen, sind wir in Verhandlungen“, gibt Mülder einen vorsichtigen Einblick in die Zahlen seiner Bank in der Seeschifffahrt. Bedeckter hält sich sein Kollege im Binnenschifffahrtssegment: „Diese Anzahl an Neubauten sehen wir nicht. Wir freuen uns aber über jeden Neubau, insbesondere im Trockenschiffsbereich,“ so Schneider. (bre)