Globalisierung braucht angesichts des Klimawandels nicht mehr nur eine funktionierende, sondern auch eine umweltfreundliche Logistik. An Lösungen dafür wird am Kühne Center for Sustainable Trade and Logistics gearbeitet.
Wie kann die Globalisierung nachhaltig und wohlstandsfördernd ausgestaltet werden? Das ist eine der zentralen Fragen, auf die man am Kühne Center for Sustainable Trade and Logistics in Zürich Antworten sucht.
Fotos: Uni Zürich: Vision Inspires, Marco Blessano
Wie wichtig diese Unabhängigkeit gerade beim umstrittenen Thema Globalisierung ist, liegt auf der Hand. Denn während Teile der Gesellschaft darauf pochen, dass gerade Deutschland wirtschaftlich vom weltweiten Handel stark profitiert, hakt es aufgrund von Zweifeln der Gegner dieser Auffassung bei etlichen Handelsabkommen. So liegt etwa die Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) mit den USA auf Eis, und das Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) zwischen Kanada und der EU wurde von Deutschland erst mit langer Verzögerung ratifiziert.
Das Problem bei diesem Thema: Eine einfache Lösung gibt es nicht. Nur wenige Parameter sind fix, wie zuletzt die Coronakrise, die Disruptionen in der Lieferkette und die geopolitischen Veränderungen gezeigt haben. Viele Zusammenhänge sind höchst komplex und ihre Beurteilung auch eine Frage der Gewichtung. Geht es etwa vor allem um den möglichst unkomplizierten Austausch von Waren und die damit verbundene wirtschaftliche Prosperität, oder sind die (demokratischen) Interessen von Menschen und der Umweltschutz höherrangiger als wirtschaftlicher Wohlstand zu bewerten?
Genau bei diesen und weiteren Fragestellungen rund um die Rolle des Welthandels bei der Bekämpfung des Klimawandels setzt das 2019 gegründete Forschungszentrum an. Die Wissenschaftler des Kühne Centers, das auf einer langfristigen Zusammenarbeit zwischen der Kühne-Stiftung und der Universität Zürich basiert, wollen dazu das bestehende Welthandelssystem überdenken, um den Weg für eine nachhaltigere Globalisierung zu ebnen.
Kurze Wege suggerieren Klimafreundlichkeit
Die Stoßrichtung dabei steht bereits fest: „Unsere wesentliche Botschaft lautet, dass der Handel nicht nur ein Problem ist, sondern Teil der Lösung“, unterstreicht Ossa. Bei der Nachhaltigkeit gehe es meist um Schadensbegrenzung, etwa durch ein geringeres Volumen, grünere Verkehrsträger und nachhaltigere Energiequellen. „Dabei wird davon ausgegangen, dass lokaler auch grüner Konsum ist.“ Viele Menschen verbinden den internationalen Handel [vor allem] mit schädlichen Emissionen beim Transport.Meist stimme das aber gar nicht. „In der Landwirtschaft werden beispielsweise 90 Prozent der Emissionen in der Produktion und nur zehn Prozent beim Transport verursacht“, so der Professor. Ein Beispiel dafür sind die Äpfel aus Neuseeland, die außerhalb der hiesigen in der dortigen Saison eine bessere Klimabilanz als regionale aufweisen. Der Grund: Die energieintensive Lagerung der heimischen Früchte im Kühlhaus bewirkt, dass das Obst aus Neuseeland trotz Seetransport ökologisch vorteilhafter ist.
Wichtiger Hebel ist Greensourcing
In der Studie „Eine quantitative Analyse der nachhaltigen Globalisierung“ beschäftigen sich die Forscher daher seit gut einem Jahr damit, mathematische Modelle der Weltwirtschaft zu erstellen, um daraus Vorhersagen ableiten zu können. „In einem fiktiven Beispiel haben wir untersucht, wie sich der Welthandel entwickelt, wenn alle Staaten weltweit eine Steuer in Höhe von 100 US-Dollar pro Tonne CO2-Äquivalent erheben würden“, berichtet Ossa.
Erste Zwischenergebnisse gibt es bereits. „Die Außenhandelsquote, also das Verhältnis von Handel zu Bruttoinlandsprodukt, wäre in der nachhaltigen Welt genauso groß wie heute“, berichtet der Direktor. „Die Modellrechnung zeigt aber auch, dass dadurch die globalen CO2-Emissionen um knapp 30 Prozent sinken würden.“ Haupthebel dabei: ein grünerer Einkauf (auf Englisch Greensourcing). „Wenn Haushalte und Unternehmen ihre Waren aus umweltfreundlicheren Ländern beziehen, reduziert dies die Emissionen erheblich“, so der Professor.
Ossa erwartet nicht, dass es jemals zu einer solchen Steuer kommt. „Aber es würde die Entscheidungsprozesse in der Wirtschaft vereinfachen, wenn die Staaten ihre Regulierungsfunktion stärker wahrnähmen.“ Das gilt auch für die Konsumenten, auf deren Entscheidung es – laut Analysen zum nachhaltigen Handel – maßgeblich ankommt. Für sie wäre es viel leichter, die Klimawirksamkeit zu beurteilen, wenn diese bereits im Preis inbegriffen wäre oder, volkswirtschaftlich ausgedrückt, alle Externitäten internalisiert wären. „Bis-her ist dies seitens der Unternehmen aber nur individuell oder im Rahmen von Corporate Social Responsibility möglich. Man kann daher in dieser Hinsicht schon von Politikversagen sprechen“, meint der Direktor.
Die Studie, die im Laufe des ersten Halbjahrs 2023 publiziert werden soll, ist aus den Vorarbeiten für den Sustainable Global Index entstanden, der künftig regelmäßig veröffentlicht werden soll. Dieser zeigt, wie nah der Handel bereits an einem solchen Ideal ist. „Seit etwa 2001/02 enthielt der Index schlechtere Werte, weil viel mehr aus China importiert wurde, es also mehr Brown- als Greensourcing gab“, berichtet Ossa. Es gibt aber auch einen positiven Trend: „Seit 2012 entwickeln sich die Werte des Index wieder in die richtige Richtung, weil die Emissionsintensität in China abnimmt.“ (cb)
Fakten
Kühne Center for Sustainable
Trade and Logistics
Gründung: 2019
Sitz: Zürich
Mitarbeiter: 1 Professur, 1 Postdoc, 4 Doktoranden und mehrere Forschungsassistenten
„Wenn Haushalte und Unternehmen ihre Waren aus umweltfreundlicheren Ländern beziehen, reduziert dies die Emissionen erheblich.“
Ralf Ossa, Vorsitzender des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften und Inhaber der
Kühne-Stiftungsprofessur für internationalen Handel
an der Universität Zürich