Die Befürchtungen waren riesig. Aber wie hat sich der Brexit bisher tatsächlich auf den Handel und die Logistik ausgewirkt? Und wie haben sich die Unternehmen dafür aufgestellt?
Fotos: Cuxport GmbH, Cuxhaven, iStock/STILLFX
Was kommt wann und wie? Das waren lange Zeit wohl die drei Fragen, die insbesondere die Logistiker beschäftigten. Unternehmen wie das Schifffahrtsunternehmen DFDS und das Logistikunternehmen L.I.T. aus Brake mussten sich auf eine Situation vorbereiten, die bis zuletzt kaum vorhersehbar war – den Brexit.
Inzwischen ist der Austritt der Briten aus der Europäischen Union Geschichte, und fest steht nach über einem halben Jahr auf jeden Fall eines: Im Warenverkehr zwischen der EU und Großbritannien ist nichts mehr so, wie es vorher war. Ein Beispiel ist der eindringliche Appell der britischen Brummifahrer. Im Juni mahnte die Road Haulage Association (RHA) in einem öffentlichen Brief an Premierminister Boris Johnson: „Kritische Lieferketten versagen aufgrund des erheblichen Mangels an Lkw-Fahrern“. Im Juli fehlten nach Angaben des Verbands etwa 100.000 Fahrer. Zwar gab es auch im Vereinigten Königreich bereits vor dem Brexit zu wenige, doch seitdem das Land aus der EU ausgetreten ist, hat sich die Lage deutlich verschärft.
Und auch eine Umfrage der IHK Nord bei norddeutschen Unternehmen lässt Schlimmes befürchten: Trotz der Post-Brexit-Regeln des Handels- und Kooperationsabkommens (TCA) sei der Handel zwischen dem Vereinigten Königreich und Norddeutschland durch die nun erforderlichen Zollanmeldungen und -kontrollen deutlich geschwächt. Demnach haben 37 Prozent der Befragten das Geschäft mit dem Vereinigten Königreich seit dem 1. Januar dieses Jahres reduziert oder vorübergehend eingestellt, um die wirtschaftliche Entwicklung abzuwarten. Eine Verbesserung sei nicht in Sicht. 46 Prozent erwarteten auch in den kommenden zwölf Monaten keine Erholung.
Gut aufstellen und Chancen nutzen
Die durchaus herausfordernde Situation auf der britischen Seite können zwar auch DFDS und L.I.T. bestätigen, in beiden Unternehmen herrscht allerdings Optimismus vor. „Den Brexit haben wir als Chance genutzt, indem wir unseren Kunden weiterhin den gleichen Service bieten und beispielsweise alle erforderlichen Zollaktivitäten übernehmen“, sagt Klaas Lange, Leiter Business Development bei der L.I.T. Speditionsgesellschaft. „Wir haben den Vorteil in Cuxhaven, klein, schnell und agil zu sein, sodass wir gut aufgestellt sind“, unterstreicht auch Ortolf Barth, Route Director bei DFDS.
Für die Fährreederei macht die Verbindung mit dem Vereinigten Königreich mehr als 50 Prozent des Geschäfts mit Kontinentaleuropa aus. Entsprechend sei klar gewesen, dass eine bestmögliche Vorbereitung unerlässlich ist. „Dass der Brexit dreimal verschoben wurde, hat dazu geführt, dass wir dann letztlich richtig gut vorbereitet waren“, berichtet Barth. So waren zwei Mitarbeiter ausschließlich mit der Brexit-Zollvorbereitung beschäftigt. „Besonders gut angekommen bei den Kunden sind unsere Webinare rund um dieses Thema.“
Als weiteren Vorteil erwies sich, dass auf die ersten Abfahrten nach dem Brexit nur wenig Ladung gebucht gewesen sei. „Wir konnten daher anfangs die Systeme auf geringer Last testen“, erinnert sich der Route Director. Zu Beginn habe es immer mal wieder Probleme mit den erforderlichen Zolldokumenten gegeben, weil beispielsweise ein falscher Ausfuhrhafen eingetragen war. „Erfreulicherweise haben dann aber alle Beteiligten inklusive der Zollbehörden sehr gut zusammengespielt.“
Inzwischen seien die Schiffe aus Immingham nach Cuxhaven wieder gut ausgelastet. Dazu beigetragen haben mehrere Bausteine: zum einen die Optimierung des Fahrplans von fünf auf sechs Abfahrten pro Woche und zum anderen die Anpassung der Abfahrtszeiten. „Wir fahren jetzt von Montag bis Sonnabend immer abends, das macht es für unsere Kunden sehr gut planbar“, erläutert Barth. Wichtig war es – wenn auch mit Aufwand –, die IT umzustellen. „Unser Onlinebuchungssystem ‚Myfreight‘ fragt nun alle zollrelevanten Daten ab, was sowohl die Export- als auch die Importprozesse deutlich vereinfacht.“ Im Fall von Verzögerungen aufgrund der Verzollung habe sich zudem die Erweiterung der Flächen am Liegeplatz IV in Cuxhaven positiv ausgewirkt, die eine gewisse Flexibilität ermöglichen. Und nicht zuletzt sei es von Vorteil, dass DFDS vor allem unbegleitete Trailer verschiffe. „Den Fahrermangel auf der britischen Seite bekommen wir daher nicht ganz so stark zu spüren.“
Ortolf Barth,
Route Director DFDS
Fakten
DFDS
Gründung: 1866
Firmensitz der DFDS- Frachtschifffahrt in Deutschland: Cuxhaven und Kiel
Geschäftsfeld: internationales Schiff-fahrtsunternehmen
Flotte: 55 Fähren
Transportvolumen p. a.: 200.000 Autos, 50.000 Trailer und Container, 7.000 Tankcontainer, 250.000 Tonnen Stückgut sowie Selbstfahrer und Projektladung
Mitarbeiter: etwa 8.000
Umsatz 2020: 14 Milliarden Dänische Kronen
Weitere Informationen:
www.dfds.com
Nach dem Brexit mussten sich die Prozesse unter allen Beteiligten inklusive der Zollbehörden erst wieder einspielen.
Positive Signale aus Großbritannien
Manche Befürchtungen hält Barth, beispielsweise mit Blick auf die europäische Automobilindustrie, deren fester Bestandteil der Lieferketten seit Jahrzehnten Unternehmen aus dem Vereinigten Königreich sind, für übertrieben: „Was den Brexit angeht, gibt es Licht und Schatten.“ So stellt zwar Honda die Produktion ein, aber andere Automobilhersteller haben angekündigt, die von Elektrofahrzeugen im Vereinigten Königreich auszubauen. Nissan Motor etwa plant, auf der Insel ein Werk für Elektrofahrzeugbatterien, und Stellantis, das aus dem Zusammenschluss der Fiat-Chrysler- und der Peugeot-Gruppe hervorgegangen ist, will in ein Werk investieren, das auf Elektrofahrzeuge spezialisiert sein wird.
Das sind gute Nachrichten für die britische Volkswirtschaft und DFDS, ebenso auch für die Spedition L.I.T – mit rund 15.000 Verschiffungen pro Jahr ins Vereinigte Königreich für fast alle namhaften Automobilhersteller. Daher hat sich auch der Logistikdienstleister früh auf den Brexit vorbereitet – „ab dem zweiten Quartal 2020 dann gezielt und auf den schlimmsten Fall eingestellt“, erinnert sich Lange. Wie bei DFDS haben die Verschiebungen auch bei L.I.T. dazu beigetragen, die Umstellung gut zu meistern.
„Unser für den Brexit zuständiges Projektteam hat einen Brexit-Tower implementiert, über den wir mit speziell geschultem Personal alle Zollformalitäten für unsere Kunden erledigen“, berichtet der Leiter Business Development. Zuvor mussten größtenteils individuelle Prozesse definiert werden, beispielsweise dahin gehend, bis wann welche Zolldokumente vorliegen müssen, und diese mit den jeweiligen Kunden abgestimmt werden. Das sei technisch zwar nicht so schwierig, aber sehr aufwendig gewesen. „Entscheidend war letztlich, dass wir neben dem Transport auch die komplette Abwicklung der Zollformalitäten übernehmen“, erläutert Lange. „Das haben die Kunden sehr gut angenommen, und wir hatten keine Volumeneinbußen.“
Klaas Lange,
Leiter Business Development
L.I.T. Speditionsgesellschaft
Fakten
L.I.T. Speditionsgesellschaft
Gründung: 1988
Hauptsitz: Brake
Geschäftsfelder: Luft- und Seefracht, Lagerlogistik, Fuhrparkmanagement, Personallogistik und IT-Services
Flotte: 1.100 Lkws, 2.000 Wechselbrücken, 700 Auflieger
Standorte: 66 in 14 Ländern
Mitarbeiter: über 3.000
Umsatz 2020: 438 Millionen Euro
Weitere Informationen:
www.lit.de
Langfristig zählt die Verfügbarkeit von ausreichend Fahrern im Vereinigten Königreich zu den größten Herausforderungen.
Hemmnis eingeschränkte Reisefreizügigkeit
Die größte Herausforderung sei inzwischen nicht mehr die Zollabwicklung, sondern die eingeschränkte Reisefreizügigkeit. „Problematisch ist die nun erforderliche Aufenthaltsgenehmigung. England ist abhängig von osteuropäischen Fachkräften, und viele wollen nun nicht mehr dorthin“, so Lange. „Der Arbeitsmarkt hat aufgrund des administrativen Aufwands an Attraktivität eingebüßt, die Verfügbarkeit von Fachkräften wird mittelfristig der limitierende Faktor sein.“
L.I.T. versucht daher, seine Abhängigkeit von externen Partnern zu reduzieren, indem die Transportkette physisch und administrativ mit eigenen Assets gestärkt wird. „Das können und wollen nicht alle, insbesondere kleine Transportunternehmen, zumal durch die konjunkturelle Erholung der Laderaumbedarf im innereuropäischen Transportmarkt sehr hoch ist. Für uns ist UK weiterhin ein sehr interessanter Markt, in dem wir uns gezielt und langfristig weiterentwickeln wollen.“ Dafür setzt die Speditionsgesellschaft auf Unterstützung aus Deutschland. „Der administrative Aufwand ist deutlich höher, und gerade im Januar und Februar war es schwierig, weil zum Teil auch große Verlader nicht vorbereitet waren. Nach einer kurzen Anlaufphase hat sich aber alles gut eingependelt.“ (cb)
Logistics Pilot
Die aktuelle Printausgabe – jetzt kostenlos anfordern.