Mit dem Inflation Reduction Act (IRA) haben die USA im August 2022 ein milliardenschweres Investitionspaket verabschiedet, das in Europa mit gemischten Gefühlen aufgenommen wurde. Was dieses Paket für die EU bedeutet und wie man in Deutschland mit dieser Herausforderung umgeht, schildern David McAllister (CDU) und Joachim Schuster (SPD), beide Mitglieder des Europäischen Parlaments.
McAllister:
Der IRA ist ein Beitrag zu den weltweiten Bemühungen, den Klimawandel einzudämmen. Zeitgleich soll er jedoch auch als Anreiz für die US-Wirtschaft fungieren. Da unsere Volkswirtschaften eng miteinander verflochten sind, könnten auch einige Unternehmen in Europa von dem milliardenschweren Konjunkturpaket der US-Regierung profitieren. Trotzdem besteht kein Zweifel, dass der IRA auch diskriminierende Bestimmungen enthält, die gleiche Wettbewerbsbedingungen untergraben. Dies gilt insbesondere für Steuergutschriften und Subventionen, von denen europäische Unternehmen nicht profitieren können. Hier besteht die Gefahr, dass sich dies insgesamt negativ auf EU-Exporte auswirkt und einige Unternehmen stärker belastet als andere. Insgesamt müssen wir uns in Europa auf die veränderten Umstände unter dem IRA einstellen und uns zeitgleich gegenüber der US-Regierung dafür einsetzen, dass Ausnahmeregelungen des IRA auch für europäische Produkte gelten.Schuster: Der protektionistische Charakter des IRA ist durchaus negativ zu bewerten. Das Problem besteht darin, dass für die Inanspruchnahme der Steuervergünstigungen eine Reihe von Local Content Requirements erfüllt werden müssen. Dies betrifft besonders EU-Exporteure in Schlüsseltechnologiesektoren wie Automobilbau, Batterien, Wasserstoff und erneuerbaren Energien. Im Wesentlichen ist dies die Verkörperung einer „America first“-Mentalität. Und auch, wenn die Auswirkungen des IRA auf die europäische Wirtschaft begrenzt sein dürften, ist es beunruhigend, dass die USA in den letzten Jahren eine Reihe von handels- und investitionspolitischen Maßnahmen ergriffen haben, die eben dieser Ideologie folgen, die viele in der EU seit den letzten US-Wahlen für überwunden hielten.
LOGISTICS PILOT: Inwiefern könnte Deutschland von diesem Paket betroffen sein?
McAllister: Ein großer Teil der Debatte um den IRA in Deutschland konzentriert sich auf die Regeln zur Subventionierung von Elektroautos. Die deutsche Automobilindustrie ist zu Recht sehr besorgt, dass europäische Unternehmen benachteiligt werden könnten. Es kommt nun darauf an, wie die EU mit den Herausforderungen des IRA für unsere Wirtschaft umgeht. Ein wichtiger Schritt war jüngst die Trilog-Einigung zum Net Zero Industry Act, der nicht zuletzt in Sachen Energietechnologie enorme Chancen für deutsche und europäische Unternehmen bietet. Vermehrte Investitionen in die Produktion von europäischen Batterien, Solarzellen und Chips werden unsere Wettbewerbsfähigkeit stärken, unsere Abhängigkeiten von China verringern und langfristig zu unseren Klimazielen beitragen.
Schuster: Natürlich wird Deutschland vom IRA betroffen sein, wahrscheinlich sogar stärker als andere EU-Staaten, weil bei uns der Export eine hohe wirtschaftliche Bedeutung hat. Aber der IRA hat auch etwas Gutes: Man muss ihn als die ehrgeizigste Klimagesetzgebung in der Geschichte der USA verstehen. Das ist eine wichtige klimapolitische Kehrtwende zur Trump-Politik.
LOGISTICS PILOT: Was bedeutet der IRA für die weltweiten Logistikketten und Warenströme?
McAllister: Eines der politischen Ziele des IRA besteht darin, die Widerstandsfähigkeit der Lieferkette für Elektrofahrzeugbatterien zu verbessern, indem Abhängigkeiten von China, das derzeit diese spezifische Lieferkette dominiert, verringert werden. Der IRA erzwingt in gewisser Weise die Umstrukturierung der Lieferketten und bietet den USA so die Möglichkeit, ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China zu erhöhen. Wir sollten mit den USA zusammenarbeiten, um etwaige negative Folgen für die globalen Lieferketten abzumildern. Zu diesem Zweck hat die Europäische Kommission bereits eine gemeinsame Taskforce mit unseren amerikanischen Partnern eingerichtet. Wichtig ist, dass diese Verhandlungen nun zu einem ausgewogenen Ergebnis führen, das mit den WTO-Regeln vereinbar ist.
Schuster: Es ist noch nicht konkret abzusehen, welche mittel- und langfristigen Konsequenzen der handels- und wettbewerbsverzerrende Alleingang der USA auf den Welthandel und die internationale Arbeitsteilung haben wird. Dieses Gesetz reiht sich jedoch auch in eine globale Entwicklung ein, die zu einer verstärkten Regionalisierung der weltweiten Wertschöpfung führt. Die Zeit der neoliberalen Globalisierung scheint vorbei zu sein. Entscheidend wird sein, ob sich diese Entwicklung in umfassenden Handelskriegen zum Schaden aller oder in der Herausbildung eines neuen, politisch vermittelten Regimes der Weltwirtschaft niederschlagen wird.
„Der IRA erzwingt in gewisser Weise die Umstrukturierung der Lieferketten.“
David McAllister (CDU) ist Abgeordneter der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament und leitet dort seit 2017 den Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten. Von 2010 bis 2013 war er Ministerpräsident von Niedersachsen.
McAllister:
Europa muss sich an diese veränderten Umstände anpassen. Wir müssen unsere eigene Industrie und unsere Produktionskapazitäten bei den grünen und digitalen Technologien ausbauen, unsere Innovationsfähigkeit verbessern und Pionierunternehmen an uns binden, unsere technologische Souveränität stärken – Gleiches gilt für unsere Fähigkeit, globale Standards zu setzen. Zudem bleibt der kontinuierliche Dialog mit Washington von entscheidender Bedeutung. Es gilt sicherzustellen, dass europäische Unternehmen einen fairen Marktzugang zu möglichst vielen Branchen erhalten, auf die der IRA abzielt.Schuster: Die EU hat bereits mit dem Net-Zero Industry Act und dem Critical Raw Materials Act Maßnahmen ergriffen, um auf ähnliche Herausforderungen zu reagieren und ihre eigene industrielle Basis zu stärken. Ebenso hat Europa bereits vor dem IRA Initiativen zur Stärkung der eigenen Industrien ergriffen, etwa zur Förderung der grünen Transformation. Wir werden aber auch klären müssen, welche grundsätzlichen strategischen Schlussfolgerungen wir insgesamt ziehen müssen, besonders weil dies der Kurs einer „europafreundlichen“ Biden-Regierung ist. Dabei geht es nicht nur um die europäische Resilienz, sondern auch um die größere Frage, wie wir uns grundsätzlich in den internationalen Beziehungen und im Spannungsfeld der Großmächte positionieren wollen. (bre)
„Die Zeit der neoliberalen Globalisierung scheint vorbei zu sein.“
Joachim Schuster ist seit 2014 Europaabgeordneter für Bremen und Bremerhaven. Dort ist er wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der SPD-Gruppe und Mitglied in den Ausschüssen für Wirtschaft, Handel und Verteidigung.