Trotz rückläufiger Zahlen will die Binnenschifffahrt mit einem umfangreichen Maßnahmenpaket wieder auf einen Erfolgskurs zurückkehren. Vor allem im Wesereinzugsgebiet passiert einiges.
Fotos: Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, Senatorin für Wissenschaft und Häfen, Bremen
Nach Angaben des Statistischen Bundesamts ist in Deutschland die Güterbeförderung per Binnenschiff 2018 gegenüber 2017 um elf Prozent gesunken. Dabei wurden insgesamt 198 Millionen Tonnen Güter auf den deutschen Wasserstraßen transportiert, was einem Rückgang um knapp 25 Millionen Tonnen entspricht. Parallel dazu hat sich der Anteil der Binnenschifffahrt an der Transportleistung des Güterverkehrs in Deutschland reduziert: Der Beitrag dieses Verkehrsträgers am Modal Split lag im Jahr 2018 bei rund 7,8 Prozent. Zum Vergleich: 2013 waren es noch 9,3 Prozent. „In 2018 hat uns das Niedrigwasser ausgebremst“, lautete dazu das knappe Fazit zahlreicher Marktteilnehmer.
Rund um die bremischen Häfen hatte man nicht mit diesem Problem zu kämpfen. Dementsprechend lag 2018 die Anzahl der abgefertigten Binnenschiffe in Bremen und Bremerhaven laut Hafenspiegel bei 8.301 – und damit nach 2012 erstmals wieder bei über 8.000. Ebenso hatte die dort umgeschlagene Menge mit 5.215.000 Tonnen in 2018 noch den höchsten Wert seit 2014 erreicht. Für das Jahr 2019 rechnete man aber auch hier mit einem leichten Abwärtstrend, was die Umschlagsmengen betrifft. „Eine wesentliche Ursache für diese Entwicklung dürfte die Maßnahme des Reederkonsortiums The Alliance gewesen sein, Anfang 2019 vier seiner Transatlantiklinien von Bremerhaven nach Hamburg zu verlagern“, sagt Cordula Radtke, Prokuristin bei Weser Container Xpress, einem Tochterunternehmen der Unternehmensgruppe Rhein-Umschlag aus Oldenburg, die Binnenschiffscontainerdienste im nordwestdeutschen Raum betreibt. Mit diesem Schritt sei aus ihrer Sicht auch eine große Ladungsmenge für die Hinterlandverkehre in der Region und damit auch für die Binnenschifffahrt verloren gegangen.
Achtung: umweltfreundlichster Verkehrsträger!
„Leider folgt die Aufkommensentwicklung der bremischen Häfen dem Bundestrend, was zeigt, dass der verkehrspolitische Ruf der Bundesregierung nach einer stärkeren Nutzung der Binnenschifffahrt noch nicht erhört wurde“, beleuchtet Andrea Vasterling-Will, Referentin bei der Senatorin für Wissenschaft und Häfen in Bremen, die aktuelle Situation. Beide, Vasterling-Will und Radtke, weisen vor diesem Hintergrund darauf hin, dass die Binnenschifffahrt der umweltverträglichste Verkehrsträger sei und dass die vorhandenen Potenziale noch längst nicht ausgeschöpft seien, insbesondere wenn es um die Verkehrsverlagerung von der Straße und der Schiene gehe. „Deshalb sind noch weitere Anstrengungen von Bund und Ländern erforderlich, um die Binnenschifffahrt zu fördern“, so Vasterling-Will. Aus diesem Grund begrüße Bremen das mit dem Masterplan Binnenschifffahrt vorgelegte Maßnahmenpaket, das im Mai 2019 vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) in Berlin vorgestellt wurde und an dem Vertreter aus zahlreichen Bereichen der maritimen Wirtschaft mitgewirkt haben.
Licht und Schatten
Jörg Huber, Leiter der Unterabteilung Wasserstraßen-Management in der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt (WSV), wertet es als wichtigen Erfolg auf dem eingeschlagenen Weg, dass es seit 2018 möglich sei, dass große Binnenschiffe mit bis zu 110 Meter Länge von Bremen aus die Mittelweser befahren und somit über den Mittellandkanal zu den wichtigen Binnenhäfen in Deutschland gelangen können. Gleichzeitig sieht er im aktuellen Ausbauzustand der Mittelweser, der Hunte und des Küstenkanals auch einen wesentlichen Grund dafür, warum es für die hiesige Binnenschifffahrt derzeit schwierig sei, Verladern eine konkurrenzfähige Transportleistung anzubieten. „Wir haben noch viel Arbeit vor uns. Dabei denke ich insbesondere an die herzustellenden Uferrückverlegungen im Zuge des Mittelweserausbaus. Diese werden bis 2022 realisiert“, so Huber. „Parallel werden nacheinander die Schleusenvorhäfen der Schleusen Langwedel, Schlüsselburg, Landesbergen, Drakenburg und Petershagen ertüchtigt und für Großmotorgüterschiffe ausgebaut. Zudem wird der obere Schleusenkanal der Schleuse Dörverden angepasst“, umreißt er die wichtigsten Maßnahmen für das Wesereinzugsgebiet.
Radtke bewertet ihrerseits die bereits erfolgten Uferrückverlegungen der Mittelweser sowie den Neubau der Schleusen in Minden und Dörverden als „Schritt in die richtige Richtung“. „Unter anderem muss es ein weiterer Schritt nun sein, die Öffnungszeiten der Schleusen an der Mittelweser für Sonn- und Feiertage an die Wochenzeiten anzupassen, um entsprechende Flaschenhalseffekte zu vermeiden“, lautet ihre Forderung. Zum Hintergrund: Die Schleusen in der Mittelweser und im Küstenkanal werden im Zweischichtsystem betrieben und sind montags bis samstags von 6 bis
22 Uhr, aber an Sonntagen nur von 8 bis 16 Uhr und an Feiertagen gar nicht geöffnet. Hier möchten sowohl die WSV als auch der Bremer Senat durch den Bau neuer Leitzentralen mehr Flexibilität für die Schifffahrt schaffen. „Entsprechend positiv bewerten wir die vom Bund geplante und derzeit realisierte Fernmeldezentrale in Minden, von der aus zukünftig alle Schleusen der Mittelweser sowie in Minden und im Stichkanal Osnabrück geschaltet werden“, so Vasterling-Will. Auch der RegioPort Minden, ein neu gebauter Hafen mit bimodaler Anbindung im ersten Teilbauabschnitt am Mittellandkanal bei Minden, spielt in den Optimierungsplänen des Bremer Senats eine wichtige Rolle. „Regelmäßige Treffen mit Vertretern der Länder Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen dienen dazu, die gemeinsamen Interessen an einer leistungsfähigen Mittelweser im Bezug zum RegioPort Minden als Hinterlandstandort der bremischen Häfen zu formulieren und umzusetzen“, fasst Vasterling-Will den aktuellen Stand zusammen.
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Mehr Wettbewerbsfähigkeit durch Digitalisierung
Einig sind sich alle drei befragten Ansprechpartner in der Einschätzung, dass die Binnenschifffahrt auf jeden Fall von der Digitalisierung profitieren und dadurch weiter an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen wird. Zwei Projekte genießen dabei aus Bremer Sicht besonderen Stellenwert: das im Oktober 2018 gestartete Projekt „Binntelligent – Intelligente Informationstechnologien für Prozessoptimierung und -automatisierung im Binnenhafen“ und das von der Europäischen Union geförderte Projekt „IWTS 2.0 – Inland Waterway Transport Solutions“. Ersteres zielt darauf ab, die Abstimmung zwischen den Beteiligten der Transportkette auch durch die Nutzung von AIS- und Schleusendaten zu digitalisieren, um die Planbarkeit für die Binnenhäfen und die Binnenschifffahrt hinsichtlich Transportweg und Umschlag zu steigern. Dazu sollen verschiedene intelligente Informationstechnologien simuliert, entwickelt und praktisch erprobt werden. Im Rahmen des zweiten Projekts, an dem auch bremenports beteiligt ist, sollen in den kommenden drei Jahren innovative Lösungen für den Güterumschlag mit Binnenschiffen entwickelt werden. Zugleich zielt das Projekt darauf ab, die Binnenschifffahrt in den Lehrplänen der Berufsbildungseinrichtungen zu stärken und Studenten und Jungunternehmer zu Botschaftern der Binnenschifffahrt zu machen. Kernelement ist ein sogenanntes Innovation-Lab, das es den Zielgruppen ermöglichen soll, digitale Werkzeuge für die Binnenschifffahrt zu entwickeln. Ihre Ideen können dabei diverse Bereiche abdecken: von Simulations-, Planungs- und Überwachungsinstrumenten über Datenanalyse- und Controllinganwendungen bis zu intelligenten Informationssystemen.
Potenzial besser nutzen
Übrigens: Als Andreas Scheuer, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, den Masterplan Binnenschifffahrt vorstellte, sagte er: „Das Binnenschiff ist ein heimlicher Gütertransport-Gigant – leistungsstark, sicher und effizient. Motorgüterschiffe können mit einer Tragfähigkeit von 3.000 Tonnen bis zu 150 Lkw ersetzen. Das ist ein enormes Potenzial, das wir noch besser nutzen wollen.“ Die nächsten Jahre werden zeigen, inwieweit das gelingt. „Wir müssen den Anteil der Binnenschifffahrt am Modal Split in den norddeutschen Häfen erheblich steigern, die Westhäfen machen es seit Jahren erfolgreich vor“, gibt Radtke die Richtung vor: „Denn Seehäfen sind immer nur so gut wie ihre Hinterlandanbindung“. (bre)
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