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„Dann kommen wir eben zu ihnen“

Die Coronapandemie und der Krieg in der Ukraine hinterlassen überall ihre Spuren. Auch die tägliche Arbeit der Deutschen Seemannsmissionen hat sich vor dem Hintergrund der aktuellen Weltlage stark verändert. Vor allem Flexibilität und Empathie sind gefragt, wenn es darum geht, der Lage angemessene Entscheidungen zu treffen und den Betroffenen mehr als nur ein offenes Ohr zu schenken.

Fotos: istockphoto/SvetaZi, pixabay/geralt, voinSveta, Bremer Seemannsmission, privat
Für Martin Struwe, Diakon der Seemannsmission Cuxhaven, hat sich während der Pandemie vor allem folgende Marschroute bewährt: „Wenn die Men-schen nicht zu uns kommen können, dann kommen wir eben zu ihnen.“ Doch auch das ist derzeit alles andere als einfach. „Rund 70 Prozent der Schiffe lassen uns inzwischen – getestet und mit FFP2-Maske – an Bord. Bei knapp einem Viertel der Schiffe endet unser Besuch jedoch an der Gangway“, erklärt Struwe. Denn die Sorge vor einer Infektion sei bei vielen Reedereien und Kapitänen hoch. Deshalb verhängten diese oftmals auch Landgangverbote für die Mannschaften, sodass „bunte Begegnungen“, wie er es nennt, im Club so nicht mehr stattfinden. „Aufgrund unserer beengten räumlichen Situation lassen wir seit Juni 2021 nur einzelne Mannschaften auf Anfrage in unseren Club und nicht mehrere Besatzungen gleichzeitig“, so Struwe.

Auch die Form der Schiffsbesuche hat sich während der Pandemie stetig verändert, weshalb Struwe von mehreren Phasen spricht: „In den ersten Monaten mit Corona haben wir vor allem kleine Aufmunterungen in Form von Geschenken an der Gangway übergeben – zumeist Süßigkeiten, Schokolade oder Vitamine. Dann, seit ausreichend Tests und Masken zur Verfügung stehen, haben wir uns zunehmend für Bord-besuche entschieden. Denn immer häufiger bekamen wir von Kapitänen und Besatzungen zu hören: „Warum lasst ihr uns in dieser schwierigen Zeit allein und kommt nicht auf einen Kaffee rein?“ Das war lange unsere Strategie. Doch mit den zunehmenden Infektionszahlen sind wir inzwischen dazu übergegangen, zwar weiterhin an Bord zu gehen, dort aber die Masken aufzubehalten und nichts zu essen oder zu trinken.“

Parallel dazu haben die Seemannsmissionen in Deutschland seit Mai 2020 die Onlineseelsorge DSM Care ins Leben gerufen. Hier können Seeleute per Chat oder Telefon ihre Sorgen mit kompetenten Ansprechpartnern und Seelsorgern besprechen. „Das Angebot wird gut angenommen, denn es besteht in diesen schwierigen Zeiten erheblicher Redebedarf“, berichtet Struwe. Gleichzeitig habe DSM Care gezeigt, dass die Pandemie zu echten Fortschritten bei der Digitalisierung motiviert hat, die ansonsten wahrscheinlich erst zu einem späteren Zeitpunkt gekommen wären.

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„Wir sind keine Politiker“

Ähnliche Erfahrungen hat auch Hannfried Teerling, Sprecher der Bordbesucher und Clubbetreuer bei der Deutschen Seemannsmission in Wilhelmshaven gemacht. Dabei betont er: „Wir agieren immer situationsbedingt und der aktuellen Inzidenzlage angemessen. Dazu gehört auch, dass wir Besatzungen nur auf Nachfrage zwischen 17 und 22 Uhr in unsere Räumlichkeiten lassen.“ Aufgrund des Krieges in der Ukraine würden es einige Reedereien seiner Meinung nach inzwischen möglichst vermeiden, mit „gemischtem Personal“ aus Russland und der Ukraine zu arbeiten. Wenn aber doch Seeleute beider Nationen gemeinsam an Bord sind, dann scheine dies überraschend gut zu funktionieren, berichtet Teerling: „Die Beteiligten sagen sich:‚Wir sind keine Politiker, sondern eine Crew. Wir arbeiten zusammen und müssen uns aufeinander verlassen können.‘ “ Was die Unterstützung für die betroffenen Seeleute angeht, so ist es nach Ansicht von Teerling vor allem wichtig, ihnen gut zuzuhören. Zudem habe man aber auch Besatzungen aus der Ukraine kostenfrei mit SIM-Karten für ihre Handys versorgt, damit sich diese über die Lage in ihrer Heimat informieren und, wenn möglich, mit ihren Angehörigen in der Ukraine austauschen können.

„Wir agieren immer situationsbedingt und der aktuellen Inzidenzlage angemessen.“

Hannfried Teerling, Sprecher der Bordbesucher und Clubbetreuer, Deutsche Seemannsmission Wilhelmshaven

Starke innere Konflikte

Christine Freytag, Diakonin der Seemannsmission in Bremerhaven, hat bisher – wie auch ihre Kolleginnen und Kollegen an den anderen Standorten – fast ausnahmslos positive Rückmeldungen auf ihre Gespräche mit Ukrainern bekommen. „Die Menschen sind für jede Form der Anteilnahme dankbar. Vor allem diejenigen, deren Heimatstädte oder -dörfer besonders stark vom Krieg betroffen sind“, so Freytag. Da es sich bei ihren Gesprächspartnern ausnahmslos um Männer im wehrfähigen Alter handelt, konnte sie bei diesen vor allem einen starken inneren Konflikt ausgemachen. „Die Seeleute stehen vor der schwierigen Entscheidung, ob sie in die Ukraine zurückkehren, um für ihr Land zu kämpfen, oder ob sie einen Verlängerungsvertrag anstreben, um Geld für den Lebensunterhalt ihrer Familien zu verdienen“, umschreibt Freytag ihre Erfahrungen. Bezugnehmend auf die Pandemie berichtet sie zwar von zahlenmäßigen Besucherbeschränkungen im Seemannsclub in Bremerhaven, aber nicht von einer zwingenden Trennung der Mannschaften: Unsere Räumlichkeiten sind sehr weitläufig. Somit ist das mit Maske problemlos realisierbar. Außerdem gibt es an den Wochentagen im Club ein Impfangebot für Seeleute. Viele, die sonst keinen Landgang haben, haben so die Möglichkeit, ihre Impfung mit ein paar kleinen Besorgungen in unserem Shop zu verbinden“, so die Diakonin.

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„Die Menschen sind für jede Form der Anteilnahme dankbar.“

Christine Freytag, Diakonin, Seemannsmission Bremerhaven

Erschreckende Perspektiven

Magnus Deppe, der Leiter der Seemannsmission in Bremen, hat dieser Tage mit widersprüchlichen Gefühlen zu kämpfen. Zum einen freut er sich, dass sein Seemannsclub nach zweijähriger Schließung und umfangreichen Umbauarbeiten endlich wieder geöffnet ist, zum anderen sei der Schock des Krieges in der Ukraine täglich greifbar. „Ich würde mir wünschen, dass es bald wieder bergauf geht und dass dann wieder mehr Seeleute aus den unterschiedlichsten Nationen in unseren jetzt vergrößerten Club kommen. Aber das ist noch Zukunftsmusik“, so Deppe. In den vergangenen Wochen habe man in enger Zusammenarbeit mit der International Transport Workers Federation (ITF) auch zahlreiche Ukrainer bei der Suche nach Jobs und Unterkünften in ganz Deutschland unterstützt. Parallel dazu trafen Deppe und seine ehrenamtlichen Helfer vielfach auf den Schiffen auf ukrainische und russische Seeleute, die nach langen gemeinsamen Monaten auf See einem Crewwechsel und damit einer unsicheren Zukunft entgegenblickten. „Einige von ihnen fürchteten, dass sie im Krieg auf ihre jetzige Kollegen treffen und vielleicht sogar auf sie schießen müssen, obwohl sie vorher noch Seite an Seite mit ihnen an Bord zusammenarbeitet haben. Eine schreckliche Vorstellung, die in dieser Form hoffentlich nie Realität wird!“, spricht Deppe vielen aus der Seele. (bre)

„Ich würde mir wünschen, dass es bald wieder bergauf geht und dass dann wieder mehr Seeleute in unseren Club kommen.“

Magnus Deppe, Leiter Seemannsmission Bremen

Die Deutsche Seemannsmission (DSM) ist eine christliche Seelsorge- und Sozialeinrichtung. An rund 30 Stationen im In- und Ausland bietet sie eine vielfältige Unterstützung, die speziell auf die Bedürfnisse von Seeleuten zugeschnitten ist. Zum Angebot gehören oft neben kleineren Einkaufsmöglichkeiten auch Aufenthaltsräume mit Kickern und Billardtischen, in denen die Internet und E-Mail kostenlos genutzt werden können. Teilweise besteht auch die Möglichkeit einer kostenfreien medizinischen Betreuung. Weitere Infos unter www.seemannsmission.org