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Magazin für Häfen, Schifffahrt und Logistik

Belastungsprobe hoch drei

Die aktuelle Weltlage ist herausfordernd. Das spüren auch die Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Und manch einer munkelt hinter vorgehaltener Hand sogar, wir würden gewissermaßen auf einem Pulverfass sitzen. Fest steht aber: Nach den jüngsten Entwicklungen haben die Logistikexperten Erfahrungswerte gesammelt, die nun in ganz spezifischen Lösungsstrategien ihre Berücksichtigung finden.

Fotos: ISTOCKPHOTOS/GIVAG/CMANNPHOTO, RÖHLING LOGISTICS (2x)
D-A-CH – dieses Kunstwort verbindet nicht nur Deutschland, Österreich und die Schweiz, sondern es steht auch für mehr als 100 Millionen Menschen, die zusammen eine Wirtschaftsleistung von über fünf Billionen US-Dollar pro Jahr erbringen. Gepaart mit vielseitigem technischen Know-how, starker industrieller Prägung und hoher Innovationskraft machen diese Faktoren den gemeinsamen Wirtschaftsraum zu einer der wichtigsten und wohlhabendsten Regionen weltweit. Vermutlich fallen einem deshalb auf den ersten Blick auch zumeist die Gemeinsamkeiten auf, die diese drei Länder in Bezug auf die Sprache, den Lebensstil und die Kultur ihrer Bewohner verbindet. Doch es gibt auch erhebliche Unterschiede – wie die nachfolgenden Ausführungen von Logistikexperten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz belegen.

Märkte sind „nur teilweise kompatibel“

Anfang September gründete Röhlig Logistics eine Niederlassung in der Schweiz und erweiterte damit sein globales Netzwerk. Organisatorisch ist die Schweizer Niederlassung bei der Deutschland-Organisation des Bremer Logistikunternehmens angegliedert, das insgesamt über 13 Büros in Deutschland und der Schweiz verfügt und seinen Kunden Dienstleistungen in den Bereichen Seefracht, Luftfracht, Projekt- und Kontraktlogistik anbietet. „Die D-A-CH-Region besitzt ein enormes Marktpotenzial, das wir aus Deutschland heraus in den letzten Jahren sukzessive auf- und ausgebaut haben“, so Dirk Schneider, Managing Director bei Röhlig Deutschland, der auch für die Geschäfte in der Schweiz verantwortlich ist. Dabei seien auf dem Seeweg Hamburg, Bremerhaven und Rotterdam, ebenso wie Wilhelmshaven, die wichtigsten Verkehrsknotenpunkte. Im Bereich Luftfracht agiert Röhlig über seinen eigenen Hub am Frankfurter Flughafen. Die neugestaltete Schweiz-Organisation unter der Leitung von Fiorella Orsetti nutzt überdies auch die Flughäfen in Zürich und Basel, um für lokale Kunden zeitkritische Sendungen schnellstmöglich abfertigen zu können.

In seiner Doppelfunktion hat Schneider deutliche Unterschiede zwischen Deutschland und der Alpenrepublik ausgemacht: „Die beiden Märkte sind keinesfalls identisch und nur teilweise kompatibel. Hierzulande fokussiert sich unser Geschäft beispielsweise auf die Bereiche Automotive, Chemie und Konsumgüter. In der Schweiz dominieren neben der Chemie, der Maschinenbau und der Pharmabereich.“ Darüber hinaus habe man im Warenaustausch mit der Schweiz mit anderen Zollabläufen zu tun, da das Land nicht zu den Mitgliedsstaaten der EU gehöre“, so Schneider.

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Dienstleistungen im Bereich Luftfracht sind ein wichtiger Bestandteil der Leistungspalette von Röhlig Logistics.

Mit Blick auf die aktuelle Weltlage sagt der Manager: „Wir haben sowohl bei der See- als auch bei der Luftfracht nach wie vor mit unterbrochenen Lieferketten zu kämpfen.“ Auf der anderen Seite habe sich aber die Nachfrage nach den Kontraktlogistikdienstleistungen des Unternehmens in den vergangenen Monaten deutlich erhöht. „Vor der Pandemie konnten die Laufzeiten vieler Produkte relativ zuverlässig geplant werden. Heute liegt zum Beispiel die Fahrplantreue vieler Reedereien bei unter 40 Prozent. Das hat dazu geführt, dass die Kunden mit unserer Unterstützung zunehmend sogenannte Pufferläger anlegen, um ihr Risiko zu minimieren“, erläutert Schneider. Dann ergänzt er: „Insgesamt hat die Entwicklung der vergangenen beiden Jahre dazu geführt, dass unser Tagesgeschäft durch eine sprunghaft gestiegene Anzahl von Videokonferenzen gekennzeichnet ist und dass die Operationsverantwortlichen jeden Auftrag aufgrund der wachsenden Unwägbarkeiten im Markt deutlich öfter anfassen müssen als zuvor, um die gleiche Servicequalität zu gewährleisten.“

Wenig natürliche Ressourcen

Ebenfalls in der österreichischen Hauptstadt befindet sich der Sitz des Start-ups Prewave, eines Spin-offs der Technischen Universität Wien. Als sogenannter Supply-Chain-Risiko-management-Anbieter (SCRM) hat das Unternehmen eine auf künstlicher Intelligenz basierende Plattform zur Analyse von Millionen öffentlich zugänglicher Onlinequellen entwickelt, die es erlaubt, Risikofaktoren wie Arbeiterunruhen, politische Unsicherheiten, finanzielle oder rechtliche Probleme oder die Auswirkungen des Coronavirus auszuwerten. Mit ihrer Hilfe können die Unternehmen ihre Lieferketten in Echtzeit überwachen und im Problemfall rechtzeitig reagieren. „Wir haben bereits rund 1.000 Kunden in der D-A-CH-Region, die diese Technologie nutzen – von Volkswagen und BMW über PWC und die Zurich Versicherung bis zum TÜV Süd und Dr. Oetker“, so Harald Nitschinger, Co-Founder und Managing Director von Prewave.

Dirk Schneider, Managing Director bei Röhlig Deutschland

„Die D-A-CH-Region besitzt ein enormes Marktpotenzial.“

Dirk Schneider, Managing Director
bei Röhlig Deutschland

Laut Dirk Schneider liegt die Fahrplantreue vieler Reedereien gegenwärtig bei unter 40 Prozent.
Fotos: RÖHLING LOGISTICS, PERTWIESER, CLAUS HANSEN, PIXABAY/MASTERTUX
Für Nitschinger ist die D-A-CH-Region neben ihrer leistungsstarken Industrieproduktion insbesondere durch eine Vielzahl mittelständischer Unternehmen geprägt, die sich in ihren Märkten als „Best Player“ etabliert haben. Diese Kompetenzballung habe dazu beigetragen, dass sich hier ein Exportmarkt für hochwertige Spezialprodukte, unter anderem in der Automobilindustrie und im Manufacturing, entwickeln konnte. Gleichzeitig verfüge die Region aber kaum über eigene natürliche Ressourcen und Rohstoffe. „Und genau das macht sie bei Naturkatastrophen, Pandemien oder sonstigen Vorkommnissen, die in der Folge Unterbrechungen der weltweiten Lieferketten mit sich bringen, besonders verwundbar. Das haben die letzten Monate ja deutlich gezeigt“, umreißt Nitschinger.

Auch vor diesem Hintergrund will Prewave seine Plattform zeitnah in die nächste Phase bringen und Lösungen schaffen, die den gesamten Risikolebenszyklus der Lieferketten abdecken. Dazu gehören beispielsweise Funktionen, die das Risiko der Erdgasabhängigkeit analysieren oder im Zuge des am 1. Januar 2023 in Kraft tretenden Lieferkettengesetzes mögliche Schwachstellen identifizieren und entsprechende Maßnahmen aufzeigen sollen.

Arbeiterunruhen sind nur einer der vielfältigen Risikofaktoren, die Prewave über seine KI-gestützte Plattform auswertet.
Jens Tarnowski, Regional CEO Europe bei Hellmann

„Wir wollen auf lange Sicht noch mehr Güter auf die Schiene verlagern.“

Claus Hansen, bremenports-Repräsentant in Wien

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Linz ist der größte Hafen an der oberen Donau. Rund drei Millionen Tonnen Güter werden an dem Standort pro Jahr umgeschlagen.
Fotos: PREWAVE, KÜHNE+NAGEL (3x)

Resiliente Lieferketten in herausfordernden Zeiten

Der internationale Logistikdienstleister Kühne+Nagel (K+N) ist mit über 13.000 Mitarbeitern und 129 Standorten in Deutschland präsent. Die Schwerpunkte des Unternehmens mit Sitz im schweizerischen Schindellegi liegen in der Bereichen See- und Luftfracht, Kontraktlogistik und Landverkehr. Über die angespannte Lage der vergangenen Monate sagt Holger Ketz, Vorsitzender der Geschäftsleitung von K+N in Deutschland: „Wochenlange covidbedingte Einschränkungen haben die Lieferketten weltweit unter Druck gesetzt. Diese allein schon komplexe Gemengelage hat sich durch den russischen Angriff auf die Ukraine weiter verstärkt.“ Die Auswirkungen seien bisher aber nur geringfügig gewesen, da Russland und die Ukraine vor dem Krieg weniger als zwei Prozent des gesamten Gruppenumsatzes ausgemacht hätten. „Mit der Schließung des russischen Luftraums mussten allerdings Frachtrouten zwischen Asien und Europa kurzfristig umdisponiert und maßgeschneiderte Transportleistungen mit zusätzlichem Aufwand gefunden werden. Das hatte und hat natürlich auch Einfluss auf unsere Logistik in der Region“, so Ketz.

Auch Kühne+Nagel wird durch unterbrochene Lieferketten und die damit verbundene fehlende Planungssicherheit täglich vor neue Herausforderungen gestellt.
Mikkel E. Andersen, Geschäftsführer der EUROGATE Container Terminals

„… das macht die D-A-CH-Region bei Naturkatastrophen, Pandemien oder sonstigen Vorkommnissen besonders verwundbar.“

Harald Nitschinger, Co-Founder und
Managing Director von Prewave

Immer deutlicher zeige sich nun, insbesondere durch die stark gestiegenen Rohöl- und Kraftstoffpreise, wie weitreichend die Auswirkungen des Krieges seien. Auch das Importverbot von Holz aus Russland und Belarus habe zu einer Warenverknappung geführt. Ebenso sei die Verfügbarkeit von Stahl- und Drahtstahl eingeschränkt. „Da beide Materialien für die Herstellung von Paletten benötigt werden, kommt es dort und bei Gitterboxen zu Engpässen. Aufgrund der fehlenden Lkw-Fahrer aus der Ukraine, Russland und Belarus verzögern sich überdies Transporte von Material und Paletten aus und in die Region“, resümiert Ketz. Besonders herausfordernd sei auch für sein Unternehmen der Umgang mit der fehlenden Planungssicherheit: „Während wir uns in der Vergangenheit darauf verlassen konnten, dass bestellte Waren zum vereinbarten Zeitpunkt zur Verfügung stehen und wir unsere Kapazitäten planen konnten, sehen wir uns nun mit erheblicher Unsicherheit konfrontiert. Wenn Lieferketten nicht mehr nahtlos funktionieren, ist es deutlich anspruchsvoller, die Kapazität, beispielsweise in der Luft- und Seefracht, zu optimieren“, macht der Manager deutlich.

Um bestmöglich auf diese Entwicklung reagieren zu können, hat K+N eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen. „Wir orchestrieren unsere Logistikdienstleistungen nun verstärkt über alle Verkehrsträger. In Zeiten von Lieferengpässen ist vielen Kunden weniger wichtig, wie die Ware transportiert wird – Hauptsache, sie kommt rechtzeitig an“, so Ketz. „Dem begegnen wir unter anderem mit der Mutlimode-Quotierung auf unserer Onlinebuchungsplattform My KN. Zudem stellen wir unseren Luftfrachtkunden zum Jahresende zwei zusätzliche Frachtmaschinen des Typs 747 zur Verfügung, um die erhöhte Nachfrage zu befriedigen.“ Generell, so glaubt Ketz, sei aber trotz der angespannten Gesamtlage die Spitze des Eisbergs überwunden, sodass sich die Logistik und die Lieferketten auf einem, wenngleich langen Weg der Besserung befinden würden. (bre)

Gary Pryke, Regional CEO bei Röhlig Logistics für Nordeuropa

„In Zeiten von Lieferengpässen ist weniger wichtig, wie die Ware transportiert wird – Hauptsache, sie kommt rechtzeitig an.“

Holger Ketz, Vorsitzender der Geschäftsleitung
von K+N in Deutschland