Die Welt ist im Wandel begriffen – alte Gewissheiten verschwinden. Doch wie wirken sich so unterschiedliche Entwicklungen wie der postpandemische Neubauboom, die Piraterie im Roten Meer und die geopolitischen Bestreben Chinas auf die maritime Wirtschaft aus? Und wie lassen sich die relevanten Puzzleteile am besten zusammensetzen?
In den Sektoren Transport, Logistik und Schifffahrt ist seit der Coronapandemie nicht nur wortwörtlich, sondern auch im übertragenen Sinne alles in Bewegung. Ein Beispiel dafür sind die erheblichen Lieferkettenengpässe während dieser Zeit, die weiterhin nachwirken. Etwa durch die Erkenntnis, dass manche Abhängigkeiten risikobehaftet sind, der Welthandel resilienter werden muss, funktionierende Lieferketten existenziell und dafür auch ausreichende Kapazitäten auf Schiffen und in den Häfen unabdingbar sind.
Die Containerlinienreedereien haben reagiert und bauen ihre Flotten im Rekordtempo aus. Insgesamt 350 neue Containerschiffe mit einer Gesamtkapazität von rund 2,2 Millionen TEU wurden 2023 nach Angaben der internationalen Schifffahrtsorganisation Bimco ausgeliefert. Damit wurde der bisherige Rekord aus dem Jahr 2015 mit 1,7 Millionen TEU deutlich übertroffen. Aber es geht noch weiter: In diesem Jahr sollen voraussichtlich 478 Boxcarrier mit einer Kapazität von 3,1 Millionen TEU auf den Markt kommen – nochmals 41 Prozent mehr als vergangenes Jahr.
Doch was bedeutet die mit dem Neubauboom verbundene weiter steigende Zahl an Großcontainerschiffen für die Häfen? „Die Auswirkungen größerer Schiffe und größerer Anlaufgrößen auf den Containerterminalbetrieb sind erheblich“, unterstreicht Aad Scholten, Managing Director des North Sea Terminals Bremerhaven. „Meine Erfahrung zeigt, dass größere Schiffe für die Reedereien Skaleneffekte mit sich bringen, für Terminalbetreiber jedoch keineswegs.“
Normalerweise läuft ein Dienst das Terminal einmal pro Woche an. „Wenn dieses wöchentliche Volumen mit weniger, aber größeren Schiffen mit entsprechend mehr Containern am Terminal ankommt, wirkt sich dies auf die Arbeitsverteilung aus“, so Scholten. Dadurch gebe es mehr Spitzen und Tiefs, was es erschwere, den Betrieb effizient zu gestalten. Zu den Herausforderungen zählt ebenso, dass größere Schiffe in der Regel mehr Container pro Anlauf befördern. „Dies erfordert möglicherweise Investitionen in größere Containerbrücken und zusätzliche Yardkapazität“, unterstreicht der Geschäftsführer. Zudem benötigen größere Schiffe längere Liegezeiten und nehmen mehr Platz an der Kaje ein, was sich auf die Verfügbarkeit der Liegeplatzkapazität auswirkt.
„Nur gemeinsam mit den anderen Akteuren in der Containerlieferkette können die Terminalbetreiber den Betrieb nachhaltig optimieren, indem entlang der gesamten Containerlieferkette der richtige Container zur richtigen Zeit am richtigen Ort geliefert wird“, so Scholtens Resümee. Auf die Zusammenarbeit mit einem neuen Partner setzen auch die beiden Containerlinienreedeereien Hapag-Lloyd und Maersk, die unter dem Namen Gemini Cooperation ab Februar 2025 ein flexibles und miteinander verbundenes Servicenetzwerk schaffen wollen.
Und wie gut kommt das an? Grundsätzlich sei dies eine rein kommerzielle Entscheidung, kommentiert der Verein Bremer Spediteure (VBSp). Die Märkte könnten von der Allianz sogar profitieren, wenn es den beiden Reedereien gelänge, die Pünktlichkeitsrate ihrer Dienste auf ein neues Niveau zu heben. Positiv sei zudem, dass Hapag-Lloyd sich weiterhin primär als Carrier verstehe, ohne Ambitionen als integrierter Logistikkonzern aufzutreten.
Aus Bremer Sicht sei besonders erfreulich, dass die Containerterminals in Bremerhaven und Wilhelmshaven zusätzliche Umschlagsmengen gewinnen werden. „Dies sollte weiterer Ansporn für die Politik und die Verwaltung sein, die Ertüchtigung der Kajen und die Vertiefung der Außenweser entschlossen und zügig anzugehen“, unterstreicht Thorsten Dornia, Vorstandsvorsitzender des Vereins Bremer Spediteure.
Ganz anders stellt sich die Situation in Bezug auf die Auftragsbücher in der Projekt- und Multipurpose-Heavylift-Schifffahrt dar. „Es gibt aktuell kein substanzielles Neubauprogramm, das zu einem größeren Flottenwachstum führen würde“, berichtet Knut Voigt, Niederlassungsleiter bei BBC Chartering in Bremen. Und das obwohl nach Angaben des britischen Beratungsunternehmens Drewry 65 Prozent der Mehrzweckschiffe weltweit 15 Jahre oder älter sind. Deshalb werde bei BBC Chartering und Briese Schifffahrt derzeit in Neutonnage investiert, die ältere Einheiten nach und nach ersetzen soll.
Womit aber sowohl Containerlinienreedereien als auch die Multipurpose-Heavylift-Schifffahrt zu kämpfen haben, sind die terroristischen Angriffe der Huthi-Rebellen im Roten Meer. Schließlich laufen gewöhnlich hierüber etwa zehn Prozent des gesamten Welthandels, und fast jeder dritte Container im Welthandel passiert die Bab-al-Mandab-Straße, die das Rote Meer mit dem Golf von Aden verbindet.
Umwege, höherer Containerbedarf und mehr Emissionen
Doch das hat sich geändert. Nicht nur Hapag-Lloyd fährt seit dem 21. Dezember den Umweg. „Neun von zehn Containerschiffen, die früher auf den wichtigsten Handelsrouten zwischen Fernost und dem Mittelmeer, Nordeuropa und der US-Ostküste durch das Rote Meer und den Sueskanal fuhren, werden umgeleitet und fahren um das Kap der Guten Hoffnung herum“, berichtet Peter Sand, Chief Analyst beim Marktforscher Xeneta.
Im Januar passierten laut „Kiel Trade Indicator“ über 80 Prozent weniger Container die Meeresstraße und den Sueskanal, als eigentlich zu erwarten gewesen wären. Das hat auch Folgen für Häfen wie Hamburg und Bremerhaven, wo die Zahl ankommender Schiffe um 25 Prozent zurückging. Zudem hat sich den Experten des Beratungs- und Analyseunternehmens Sea-Intelligence zufolge die notwendige Transportleistung in TEU-Meilen zwischen Fernost und Europa um etwa 35 Prozent erhöht. Weltweit haben die Analysten Mitte Februar einen Wert von 16 Prozent mehr ermittelt.
Auch die Emissionen steigen: Die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) schätzt, dass der Kraftstoffverbrauch aufgrund größerer Entfernungen und höherer Geschwindigkeiten auf einem Rundtrip von Singapur nach Rotterdam zu einem Anstieg der Treibhausgasemissionen um bis zu 70 Prozent führen könnte. Zum Hintergrund: Die Schiffe fahren durchschnittlich etwa einen Knoten, zum Teil aber auch bis zu drei oder vier Knoten schneller.
Etwa 10 bis 20 Tage länger dauert es, bis Lieferungen Nordeuropa und den Mittelmeerraum erreichen. „Die Versorgungsketten wurden massiv unterbrochen und werden es immer noch“, so Sand. Und derzeit ist kein Ende in Sicht: Schusswechsel seien nach wie vor an der Tagesordnung. Immerhin: „Bisher wurden alle anderen Versuche, an Bord zu kommen und zu kapern, abgewiesen“, berichtet Sand. Dazu habe die multinationale Sicherheitsinitiative Operation Prosperity Guardian (Operation Wächter des Wohlstands) seit Ende Dezember ihren Teil beigetragen.
„Derzeit ist davon auszugehen, dass die Schiffe auch in den nächsten Monaten um das Kap der Guten Hoffnung geleitet werden müssen“, erwartet auch der VBSp-Vorsitzende Dornia. „Es wird sich eine neue Regelmäßigkeit einstellen, zumal etliche Reedereien, wie auch Hapag-Lloyd, ihre Fahrplandichte mit mehr Schiffen aufrechterhalten.“ Bei der Hamburger Reederei sind es zwischen Asien und Europa 14 bis 15 statt sonst zwölf Containerschiffe, zudem wurden 125.000 TEU zusätzliche Boxen gekauft.
Letztlich werden sich Industrie und Handel nach Ansicht von Dornia auf die längeren Reisezeiten einstellen und entsprechend ihre Bestellungen disponieren. „Was bleibt, sind deutlich höhere Frachtraten für den Containertransport und höhere Kapitalbindungskosten. Die werden die Industrie und der Handel über kurz oder lang an den Markt weiterreichen.“
Und nicht nur das: „Die dadurch entstehenden Verzögerungen belasten den deutschen Außenhandel nach einem ohnehin schwachen Jahr 2023“, sagt Melanie Vogelbach, Bereichsleiterin für internationale Wirtschaftspolitik und Außenwirtschaftsrecht bei der DIHK. „Auch wenn sich die Lieferketten der Unternehmen bisher resilient zeigen, so sind die verspäteten Importe und Exporte neben den gestiegenen Frachtraten doch bedeutsam und könnten sich in den kommenden Wochen negativ auswirken. Schließlich sind die weltweiten Frachtkapazitäten und die Alternativen zur Containerschifffahrt begrenzt.“
Neben der Krise im Roten Meer und den Kriegen in der Ukraine und in Israel bleiben auch die geopolitischen Unsicherheiten in Bezug auf China ein Thema. So nehmen die Spannungen zwischen China und Taiwan sowie im Südchinesischen Meer weiter zu. Ein Konflikt in diesen Seeregionen hätte weitreichende Folgen. Allein durch die Straße von Taiwan verlaufen etwa 50 Prozent des globalen Seehandels. Und das Land der Mitte bleibt, auch wenn die USA für Deutschland als Handelspartner immer wichtiger werden, auf Platz eins. Rund 500 Firmen in Bremen treiben regelmäßig Handel mit China, etwa 200 haben dort sogar eine eigene Tochtergesellschaft, Niederlassung oder Produktionsstätte.
„Größere Schiffe bringen Skaleneffekte für die Reedereien, nicht für Terminalbetreiber.“
Aad Scholten, Managing Director des North Sea Terminals Bremerhaven
„Auch in den nächsten Monaten werden die Schiffe um das Kap der Guten Hoffnung geleitet werden müssen.“
Thorsten Dornia, Vorstandsvorsitzender des Vereins Bremer Spediteure
Veränderte Zulieferbeziehungen und Lagerhaltungkonzepte nach Corona
„Zurzeit laufen viele Bereiche im internationalen Wirtschaftsverkehr nicht richtig rund“, resümiert Volkmar Herr, Geschäftsführer und Leiter des Geschäftsbereichs International bei der Handelskammer Bremen. „Die Außenhandelsumsätze mit vielen Zielländern sind weit überwiegend stagnierend oder rückläufig, bei einigen Ländern sogar beträchtlich, auch bei China.“ Nur gegenüber den USA stelle sich ein positiveres Bild dar.
„Meines Erachtens hängt die überwiegend mäßige Lage nicht zuallererst mit den sich anbahnenden geopolitischen Konflikten im Dreieck USA-EU-China zusammen“, gibt Herr zu bedenken. „Mir scheint, dass sich die Belastungen im Welthandel auf die Nachwirkungen der Pandemie, das veränderte Zinsniveau und auf die schlechte Wirtschaftspolitik in China und in Europa, vor allem auch in Deutschland, zurückführen lassen.“ Hinzu kämen die Verwerfungen bei den Energiekosten durch den Russland-Ukraine-Krieg und die hausgemachte Energiepolitik, die nicht genügend technologieoffen definiert werde.
Mögliche Auswirkungen der Geopolitik USA-EU-China auf die bremische Wirtschaft ließen sich schlecht in belastbaren Zahlen abgrenzen. „Aus vielen Gesprächen mit den Betroffenen hören wir aber, dass sich die Unternehmen unterdessen viel intensiver mit den sich abzeichnenden Risiken auseinandersetzen“, berichtet Herr. „Sie versuchen, ihre Zulieferbeziehungen zu diversifizieren, verändern ihre Lagerhaltungen, passen ihre gesellschaftsrechtlichen Strukturen an, um gegen Schocks besser gerüstet zu sein, investieren in anderen Drittländern und haben dabei oft das Motto ‚China plus 1‘ im Sinn.“ Es sei spürbar, dass auslandsaktive Unternehmen bei ihren Investitionsvorhaben auch auf für sie neue Drittländer sehen. Das zeigten auch jüngere Erhebungen der DIHK.
China: Schwieriger Spagat zwischen Absatzchancen und Vorsicht
Bei aller Neujustierung von Lieferbeziehungen müsse man jedoch im Blick behalten, dass China der zweitgrößte Binnenmarkt der Welt sei. „Um weltweit wettbewerbsfähig zu bleiben, engagieren sich deutsche und europäische Unternehmen in China, und zwar wegen der dortigen Absatzchancen und der Nähe zu den Kunden. Hinzu kommt, dass sich Innovationen schneller rentieren, wenn man für neue Produkte und Dienste Mengenvorteile nutzen kann, die sich schlicht aus der Größe des chinesischen Marktes ergeben. Ohne gut kalkulierte Innovationen fallen unsere Unternehmen gegenüber dem Wettbewerb zurück.“
Zudem gebe es für viele in China hergestellte Produkte außerhalb Chinas zurzeit keine belastbaren Alternativzulieferer, sodass der chinesische Markt nicht einfach ignoriert werden könne. Die Risiken würden aber in den Unternehmensführungen gesehen. „Geschäft, das über einen handhabbaren Zeitraum mit seinem Risiko noch gut dargestellt werden kann, findet nach wie vor statt. Es kann dabei auch zu Umsatzwachstum kommen. Aber höhere Vorsicht nehmen wir auch wahr“, erklärt Herr.
Wie wichtig die chinesische Wirtschaft für die Automobillogistik ist, zeigt sich gerade in mehrfacher Weise. „Die chinesischen Fahrzeughersteller sind sehr am europäischen Markt interessiert. 2023 haben wir 10.000 chinesische Autos am Autoterminal Bremerhaven umgeschlagen – Tendenz steigend“, berichtet Frank Dreeke, Vorstandsvorsitzender der BLG Logistics Group. „Mit Ankunft der ‚BYD Explorer No. 1‘ in Bremerhaven hat nun das erste Schiff bei uns festgemacht, das ein chinesischer Hersteller gechartert hat. Wir freuen uns darüber sehr. Der Automobilhersteller BYD unterstreicht mit dieser Entscheidung die Bedeutung unseres Standorts als internationale Drehscheibe für die Automobillogistik. Wir sind sehr optimistisch, dass wir im Laufe des Jahres in Bremerhaven für und mit den großen chinesischen OEMs arbeiten werden.“
Dass sich der Automobilmarkt vor allem in Europa und Deutschland immer mehr von einem Export- zu einem Importmarkt wandele, beobachtet man auch bei Cuxport. „Bereits im August 2023 haben wir als Terminalbetreiber Cuxport unsere Terminalflächen durch ein zusätzliches elf Hektar großes Areal im rückwärtigen Hafenbereich ergänzt, um diese erhöhten Importströme abzuwickeln“, berichtet Oliver Fuhljahn, Leiter Business Development für Automobile Logistics bei Cuxport. „Diese zusätzlichen Stellflächen gilt es in den nächsten Jahren noch weiterzuentwickeln, zum Beispiel durch den möglichen Aufbau von Parkhäusern.“
Trotzdem führe der verstärkte Import von Neufahrzeugen aus Märkten wie China zu einer weiteren Verknappung der ohnehin schon gut ausgelasteten Flächen der Terminallandschaft in Europa. Auch die Verweildauer der Fahrzeuge auf den Terminals sei aufgrund der noch im Aufbau befindlichen logistischen Hinterlandstruktur zurzeit deutlich höher als bei regulären Verkehren.
„In Cuxhaven plädieren wir hier vor allem für die Entwicklung der Liegeplätze 5 bis 7. Sie sollen für die Abwicklung von Ladungsströmen im Zusammenhang mit den Verkehren rund um den Erneuerbaren-Energien-Sektor, zum Beispiel für die Errichtung von On- und Offshore-Windparks, genutzt werden und könnten so die Auslastung der gesamten Hafenflächen ausgleichen“, so Fuhljahn.
Auch bei Mosolf verfolgt man sehr interessiert den Boom der chinesischen Automobilindustrie bei Elektrofahrzeugen. „Mit der Neugründung der Mosolf Port Logistics & Services GmbH Anfang des Jahres, hat die Mosolf Gruppe einen Schwerpunkt auf den Ausbau des Hafengeschäfts gelegt, insbesondere mit Blick auf die Herausforderungen und Chancen, die sich aus dem Boom der chinesischen Automobilindustrie ergeben“, berichtet Kai Wenhold, General Manager Port Logistics bei Mosolf Port Logistics & Services. „Die Entwicklungen in Asien bergen nicht nur Herausforderungen, sondern auch Chancen für Wachstum und Zusammenarbeit.“ (cb)
„Es gibt aktuell kein substanzielles Neubauprogramm, das zu einem größeren Flottenwachstum führen würde.“
Knut Voigt, Niederlassungsleiter bei BBC Chartering
„Die Lage hängt nicht mit den sich anbahnenden geopolitischen Konflikten im Dreieck USA-EU-China zusammen.“
Volkmar Herr, Geschäftsführer und Leiter des Geschäftsbereichs International bei der Handelskammer Bremen
„Wir haben unsere Terminalflächen durch ein zusätzliches Areal ergänzt, um erhöhte Importströme abzuwickeln.“
Oliver Fuhljahn, Leiter Business Development für Automobile Logistics bei Cuxport