Ist es für eine erfolgversprechende geschäftliche Kommunikation sinnvoller, auf den altbewährten persönlichen Kontakt wie in Meetings und auf Messen zu setzen, oder sollten sich Unternehmen verstärkt auf digitale Kommunikation konzentrieren? Und vor welche Herausforderungen stellt uns der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) als einem möglichen Instrument der digitalen Kommunikation? Experten von BLG LOGISTICS, Kühne+Nagel, KPMG und dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz geben Einblicke in ihre Kommunikationserfahrungen sowie Ausblicke auf mögliche Entwicklungen.
Insbesondere die künstliche Intelligenz (KI) werde nach Straubes Meinung die digitale Kommunikation nachhaltig verändern – und zwar branchenübergreifend. „Vieles ist gerade im Fluss und damit für uns Neuland. Wir müssen also täglich dazulernen und genau schauen, wie wir diese neue Technologie einsetzen, und sicherstellen, dass wir gewinnbringend echte Informationen austauschen und dass nicht durch immer realistischer generierte Fehlinformationen Prozesse eher behindert oder gar manipuliert werden“, so Straube. Perspektivisch sieht er in der KI ein großes Potenzial durch die Weiterentwicklung sogenannter generativer KI-Modelle wie ChatGPT. In diesem Bereich wurden bereits erste Modelle veröffentlicht, die neue Inhalte in Form von Audio, Video und Text verarbeiten und generieren können. Am DFKI nutze man diese Technologie zum Beispiel schon dazu, um bei Unterwasseraufnahmen einen Ausfall der Sensorik oder eine schlechte Sicht in verschiedenen Videosequenzen zu kompensieren.
Ein komplett anderer Lernweg
Vor dem Hintergrund der aktuellen KI-Diskussion weist Straube nachdrücklich darauf hin, dass KI-Systemen ein komplett anderer Lernweg zugrunde liegt als dem Menschen. „Wir Menschen lernen und entwickeln im Zuge dieses Erfahrungsprozesses unsere eigene Sprache. Die KI und Robotiksysteme sind hingegen von Anfang an mit Sprachkompetenzen ausgestattet und simulieren Weltwissen, ohne zunächst echte Erfahrungen gemacht zu haben. Das sollten wir stets im Hinterkopf behalten.“
In der Konsequenz bedeutet dies, dass Teile von KI-generierten Antworten durchaus erfunden und nur scheinbar richtig sein können. Doch wie lassen sich diese Informationen verbindlich auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfen? Laut Straube entweder durch den Nutzer selbst, durch andere menschliche Experten oder auch weitere KI-Algorithmen, die die bestehenden KI-Systeme überprüfen. Etwa so, wie Cyberangriffe durch künstliche Intelligenz simuliert werden, um zu prüfen, ob die KI-basierte Abwehrstrategie effizient ist. Eine Vorstellung, die in der Praxis allerdings noch arg gewöhnungsbedürftig erscheint.
„Bei der digitalen Kommunikation können zwischenmenschliche Aspekte verloren gehen.“
Sirko Straube, Research & Administrative Manager beim DFKI
„Die Mehrheit der Unternehmen ist noch nicht bereit“
Auch bei Kühne+Nagel (KN) ist man sich der stetig wachsenden Bedeutung von digitaler Kommunikation bewusst. „Wir setzen schon seit vielen Jahren solche Technologien in der Geschäftskommunikation ein, um mit unseren Kunden in Kontakt zu treten – und wir bauen diese ständig aus“, sagt Niklas Sundberg, Leiter für Digitales Geschäft bei KN. Gleichzeitig verweist er darauf, wie wichtig es sei, sich aber auch mit Menschen zu treffen, beispielsweise indem man auf Messen die persönliche Kommunikation suche. Mit Blick auf die digitale Transformation sagt Sundberg: „Wir sind jetzt in eine neue Ära der KI eingetreten. Um die Macht der KI erfolgreich zu nutzen, brauchen wir eine Menge Daten. Aber nicht irgendwelche Daten, sondern Daten, die gut strukturiert und verwertbar sind.“ In diesem Zusammenhang verweist er auf eine Studie des amerikanischen Marktforschungsunternehmens Gartner, nach der gegenwärtig nur vier Prozent der befragten Unternehmen der Meinung sind, dass ihre Daten für die KI vorbereitet sind. „Das bedeutet, dass die Mehrheit der Unternehmen noch nicht bereit ist, künstliche Intelligenz in ihre Geschäftsmodelle einzubinden“, so Sundbergs Momentaufnahme.
Gerade deshalb sieht er es für die Unternehmen der Logistikbranche als wichtiges Erfordernis an, ihre digitale Transformation zu beschleunigen, um neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen, einen besseren Service anzubieten und sich im Markt behaupten zu können. In Bezug auf das eigene Unternehmen sagt er: „Wir befinden uns derzeit mitten in unserer Cloud-Transformation, um die meisten unserer Anwendungen zu modernisieren und in die Cloud zu migrieren. Alle neuen Geschäftsfunktionen, die wir einführen, müssen in der Cloud und nicht vor Ort eingesetzt werden.“ Auch KI setze man im eigenen Hause bereits erfolgreich ein, um beispielsweise realistische Vorlaufzeiten für Sendungen vorherzusagen und Kundenrückfragen im Support zu optimieren. Des Weiteren würden derzeit KI-Lösungen für eine genauere Vorhersage der Kundenabwanderung getestet.
„Die Grenzen dessen, was wir mit KI tun können, hängen am Ende allerdings von den vorliegenden Daten und deren Qualität ab“, gibt Sundberg zu bedenken. Dabei steht der Gesellschaft aus seiner Sicht neben einer ethischen vor allem eine umweltspezifische Diskussion bevor. „Wir müssen auch vorsichtig sein, was die Auswirkungen der KI auf unsere Umwelt angeht. Der Betrieb und das Training von KI-Modellen ist sehr ressourcenintensiv, man braucht viel Strom und auch Wasser. Ich hoffe, dass im Kontext der Energiewende in Zukunft mehr über die Umweltauswirkungen von Rechenzentren diskutiert wird und dass das Bewusstsein dafür wächst“, so Sundberg. Generell sei es in diesem Prozess nun wichtig, einen Gesamtkonsens in der Gesellschaft zu finden, um die Grenzen künstlicher Intelligenz abzustimmen. „Denn nicht alles muss durch KI unterstützt werden“, regt Sundberg an.
„Wir müssen vorsichtig sein, was die Auswirkungen der KI auf unsere Umwelt angeht.“
Niklas Sundberg, Leiter für Digitales Geschäft bei Kühne+Nagel
Vier von fünf Entscheidern haben eine KI-Strategie
Aus Sicht von Ulrich Balke, Director Markets bei der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, scheint hierzulande jedoch eine echte Aufbruchstimmung in Sachen Digitalisierung und künstlicher Intelligenz zu herrschen: „Laut unserer aktuellen Studie ‚Generative KI in der deutschen Wirtschaft“, geben vier von fünf Entscheidern an, in ihrem Unternehmen bereits über eine Strategie für generative KI zu verfügen oder gegenwärtig an einer solchen zu arbeiten. Gut zwei Drittel haben für die nächsten zwölf Monate Proof of Concepts geplant, um den Nutzen der KI für ihr Unternehmen zu erörtern, oder haben bereits erste Use Cases umgesetzt.“ Dabei sei die Digitalisierung der Unternehmen eine grundlegende Voraussetzung für den erfolgreichen, strukturellen Einsatz von künstlicher Intelligenz. „Ansonsten wird die Datenqualität nicht ausreichen. Zudem werden die Kunden sehr bald KI-gestützte Prozesse von ihren Logistikdienstleistern erwarten, damit auch neuere Geschäftsmodelle funktionieren“, ist sich Balke sicher. Dennoch stellt er klar: „Es wird aber auch weiterhin das vertrauensvolle, persönliche Gespräch geben. Denn das macht unsere Branche aus.“
Sein Kollege Jan Stoelting, Partner im Bereich Consulting bei der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, stellt diesem Aspekt einen wesentlichen Vorteil von KI gegenüber: „Aufgrund fortschrittlicher Algorithmen und maschinellen Lernens kann KI zu einer schnellen Auswertung von Big Data beitragen und Muster erkennen, die für menschliche Analysten unsichtbar bleiben.“ Das erlaube unter anderem eine verbesserte Prognose von Unternehmensprozessen und die frühzeitige Erkennung von Engpässen und Trends.
Auf den Einsatz von KI bezogen sieht er ebenso wie Sirko Straube vom DFKI verschiedene Optionen, um die Echtheit von Bildern und Texten zu prüfen. Eine davon sei die Verwendung digitaler Signaturen. Diese kryptografische Methode ermöglicht es, die Identität des Absenders sicherzustellen und zu gewährleisten, dass Dokumente und Dateien nicht von Drittparteien manipuliert wurden. Eine weitere Möglichkeit sei die Verwendung von Wasserzeichen, die in Bilder oder Texte eingebettet werden. Darüber hinaus könnten auch spezielle Softwaretools zur Überprüfung der Echtheit digitaler Inhalte eingesetzt werden, die beispielsweise die Metadaten eines Dokuments oder einer Datei analysieren und auf mögliche Manipulationen hinweisen. Zusätzlich sind wir nach Stoeltings Meinung in unserer täglichen Kommunikation auch selbst gefordert, regelmäßig einen Faktencheck vorzunehmen und Informationen proaktiv zu hinterfragen. Das würde sowohl bei Texten als auch bei Fotos Fragen beinhalten wie: Ist die Quelle korrekt zitiert, und kann man ihr vertrauen? Wie aktuell sind die Informationen? Von wem, wo und wann wurde ein Bild aufgenommen, und gibt es gegebenenfalls Anzeichen, dass es bearbeitet wurde?
„Das vertrauensvolle, persönliche Gespräch macht unsere Branche aus.“
Ulrich Balke, Director Markets bei KPMG
„Auch bei fortschreitender Digitalisierung der Kommunikation bleiben ethische Bedingungen relevant.“
Jan Stoelting, Partner im Bereich Consulting bei KPMG
Nicht ohne eine Ethik der digitalen Kommunikation
Als Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche geschäftliche Kommunikation der Zukunft fordert Stoelting allerdings eine Ethik der digitalen Kommunikation. Dabei nimmt er insbesondere die sozialen Medien kritisch ins Visier. „Die Herausforderung besteht darin, diesen ethischen Ansprüchen konsequent zu genügen. Digitale Kommunikation ermöglicht es den Menschen, sich hinter einer gewissen Anonymität zu verstecken und eine gewisse räumliche und interpersonelle Distanz zu wahren, was vermutlich Vorteile haben kann in Bezug auf ein offeneres und ehrlicheres Teilen von Meinungen und Inhalten. Auf der anderen Seite führt dies aber auch zu rücksichtsloserem Verhalten, da Menschen die Konsequenzen ihres Handelns weniger spüren“, gibt Stoelting zu bedenken.
Gleichzeitig betont er, dass Ethik und digitale Kommunikation „nicht in natürlicher Konkurrenz“ zueinander stünden. Ein Miteinander setze aber voraus, dass die Gesprächspartner ein gemeinsames ethisches Verständnis entwickeln, das aufgrund anerkannter, verbindlicher Regularien der Gesellschaft adaptiert wird, und dass die digitale Kommunikation als eine weitere zwischenmenschliche Kommunikationsebene anerkannt wird. „Auch bei fortschreitender Digitalisierung der Kommunikation bleiben ethische Bedingungen relevant und müssen sogar noch stärker betont werden, um Missverständnisse aus dem Weg zu schaffen“, so Stoelting.
„Die Sicherheitsthemen werden sich lösen lassen“
Für Jakub Piotrowski, CIO bei BLG LOGISTICS, lässt sich der größtmögliche kommunikative Nutzen im gezielten Zusammenspiel zwischen künstlicher Intelligenz und persönlichem Kontakt erzielen. „KI macht besonders bei Routinetätigkeiten wie Recherchen, Textzusammenfassungen und im Helpdesk, wo Chatbots Informationen sammeln und Selfservices unterstützen können, Sinn. Sie verbessert die Effizienz und Zielgenauigkeit von Lösungen. Dennoch bleibt persönlicher Kontakt essenziell, vor allem dort, wo Emotionen eine Rolle spielen, wie im Kundenanbahnungsprozess“, so Piotrowski. Aber auch die persönliche Kommunikation könne die KI unterstützen, beispielsweise bei der Ausarbeitung von Argumentationen, Konzepten und Texten.
Schon jetzt setzt BLG LOGISTICS künstliche Intelligenz in vielfältiger Form ein, unter anderem, um im Forschungsprojekt „KITE“ (Künstliche Intelligenz im Transport zur Emissionsreduktion) mit einem KI-Prognoseverfahren einen nachhaltigen Lkw-Verkehr mit weniger Leerfahrten zu ermöglichen. Ebenso testete das Unternehmen im Rahmen eines Konzeptnachweises einen KI-Chatbot auf der Website des Standorts Geiselwind, um beim Bewerbungsprozess mögliche Interessenten frühzeitig zu erkennen und den Erstkontakt herzustellen. Weitere Felder in denen diese Technologie bereits bei BLG genutzt wird, sind das intelligente Dokumentenmanagement und die optische Bilderkennung mit KI.
Im Umgang mit KI stellen für Piotrowski die Informationssicherheit und der Datenschutz die größten Herausforderungen dar. Hier sieht er primär die Notwendigkeit, dass Gesetze und Verordnungen wie der EU AI Act oder der Artificial Intelligence Cloud Service Compliance Criteria Catalogue (AIC4) vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik entsprechende Rahmenbedingungen für die KI formulieren. „Vor diesem Hintergrund müssen wir uns intensiv mit Datenschutz und Compliance beschäftigen. Wesentliche Bausteine sind dabei unter anderem eine klare KI-Governance und Mitarbeiterschulungen“, sagt Piotrowski. In diesem Sinne hat BLG LOGISTICS in diesem Sommer begonnen, die ersten 30 Testuser aus dem eigenen Hause zum Thema Generative KI zu schulen. „Sie sollen anschließend als Multiplikatoren für eine großflächige Einführung dienen“, so der BLG-Experte.
Langfristig, so ist er sich sicher, werde die Zukunft insbesondere von spezialisierten KI-Systemen geprägt sein, die ähnlich wie spezialisierte Logistikdienstleister typische Probleme der Branche effizient lösen. Zur Analyse der Ist-Situation zieht er einen interessanten Vergleich: „Das ist wie bei der anfänglichen Skepsis gegenüber Cloud-Computing. Wie dort werden sich auch in puncto KI die erforderlichen Sicherheitsthemen lösen lassen, sobald die Technologie bekannter und das Vertrauen größer geworden sind.“(bre)
„KI verbessert die Effizienz und Zielgerichtetheit von Lösungen.“
Jakub Piotrowski, Leiter für Nachhaltigkeit, Digitalisierung und IT bei BLG LOGISTICS