Thomas Manigk, Managing Director von Kopf & Lübben, bietet mit seinem Unternehmen seit knapp 50 Jahren Transportleistungen auf See, in der Luft und über Land. Dadurch kennt er die Wertschöpfungsketten der internationalen Wirtschaft – und die Folgen, die Havarien für diese haben können.
LOGISTICS PILOT: Haben Sie bei Kopf & Lübben die Auswirkungen dieser Havarie gespürt?
Manigk: Die Folgen haben wir extrem zu spüren bekommen. Bereits vorher waren die globalen Lieferketten beeinträchtigt: durch den Brexit, die Coronapandemie und den unerwartet starken Anstieg der Weltkonjunktur. Insbesondere der starke chinesische Export führte zu überbuchtem Schiffsraum. Die Havarie der „Ever Given“ potenzierte die Situation und stellte uns vor große Herausforderungen. Es trat der „Ketchup-Effekt“ ein – jeder Auftrag musste mehrfach neu- oder umgeplant werden. Der Aufwand für unsere Mitarbeitenden, gute Lösungen zu finden, war ein wahrer Kraftakt.
LOGISTICS PILOT: Kann man sagen, dass sich die Ladungsströme in den vergangenen Jahren stark verändert haben?
Manigk: Ja, die Ladungsströme haben sich zweifellos verändert, meiner Ansicht nach jedoch nicht in dem Maße wie oftmals prognostiziert. Es gibt Anzeichen dafür, dass andere Verkehrsträger als die Schifffahrt, insbesondere die Luftfracht, langfristig von Havarien wie der der „Ever Given“ profitiert haben könnten, wobei dieser Verkehrsträger schon seit jeher bei zeitkritischen Lieferungen zum Tragen kommt. Je nach Fahrtgebiet ist auch die Bahn, insbesondere entlang der Seidenstraße von und nach Asien, eine interessante Alternative. Die Seeschifffahrt ist traditionell eine der wichtigsten Säulen des globalen Handels, aber sie ist auch anfällig für Störungen und Engpässe, sei es durch Naturkatastrophen, technische Probleme oder eben durch Havarien. Infolgedessen haben Unternehmen begonnen, alternative Transportwege zu erkunden, um ihre Lieferketten widerstandsfähiger zu machen.
LOGISTICS PILOT: Welche anderen Havarien sind ihnen neben der „Even Given“ besonders im Gedächtnis geblieben?
Manigk: Spontan fällt mir das Containerschiff „MOL Comfort“ ein, das infolge einer Konstruktionsschwäche und einer mutmaßlichen Überbelastung des Rumpfes auseinanderbrach und sank. Und aktuell sorgt das von Maersk gecharterte Containerschiff „Dali“ für Schlagzeilen, weil es die Francis Scott Key Bridge in Baltimore gerammt und zerstört hat. Der Schaden geht in die Milliarden, sechs Menschen starben. Leider kommt es auch immer wieder vor, dass Containerschiffe Container über Bord verlieren. So auch die „MSC Zoe“, die aufgrund eines Sturmes über 300 Container in der Nordsee verlor. Für mich besonders tragisch ist der Fall des mit 5.800 Rindern beladenen Frachters „Gulf Livestock 1“, der von Neuseeland nach China unterwegs war und südwestlich von Japan kenterte und sank.
Manigk: Havarien haben in den vergangenen Jahren definitiv zu Umdenkprozessen in der Logistik geführt. Sie haben Unternehmen dazu veranlasst, ihre Lieferketten zu überdenken und nach Möglichkeiten zu suchen, sich resilienter gegenüber Störungen und Engpässen zu machen. Hierbei geht es darum, Risiken zu identifizieren und zu bewerten, um potenzielle Schwachstellen zu erkennen. Viele Unternehmen hat es dazu bewogen, Lagerbestände aufzubauen. Insbesondere sehe ich Fortschritte bei technologischen Lösungen, die dazu dienen, die Lieferketten effizienter zu verwalten und schneller auf Störungen zu reagieren. Zum Beispiel können fortschrittliche Tracking- und Überwachungssysteme dabei helfen, den Standort und Zustand von Waren in Echtzeit zu verfolgen und potenzielle Probleme frühzeitig zu erkennen.
LOGISTICS PILOT: Was haben Sie in Ihrem Hause getan, um für Havarien jeglicher Art besser gerüstet zu sein?
Manigk: Havarien sind außergewöhnliche Ereignisse, deren Eintreten in der Regel unvorhersehbar ist. Sich dagegen rüsten zu können, halte ich für unmöglich. Die Erfahrung, die wir in unserem knapp 50-jährigen Bestehen sammeln konnten, trägt jedoch sicherlich dazu bei, dass wir schnell und flexibel auf neue Situationen reagieren können. Darüber hinaus haben wir große Summen in unser Track-&-Trace-System investiert, mit dem wir volle Supply-Chain-Visibility ermöglichen. Mit unserem datenbasierten Lösungsansatz, unterstützt durch KI, minimieren wir die Risiken in der Lieferkette und treffen anhand von proaktiven Warnmeldungen in Echtzeit die richtigen Entscheidungen. Letztendlich sind es aber unsere Mitarbeitenden, die durch ihr Fachwissen einen echten Mehrwert schaffen.
LOGISTICS PILOT: Die Angriffe der Huthi-Rebellen im Roten Meer gehören zwar nicht direkt zum Themenfeld der Havarien, aber auch sie haben vielfältige Auswirkungen, oder?
Manigk: Die Angriffe der Huthi-Rebellen im Roten Meer haben natürlich Auswirkungen auf die Schifffahrt und somit auf den internationalen Handel. Die daraus resultierenden Umleitungen um das Kap der Guten Hoffnung führen zu erheblich längeren Transitzeiten und höheren Kosten. Die gestiegene Gefahr in der Region hat auch Auswirkungen auf Versicherungsprämien für Schiffe und Fracht, da Versicherer das erhöhte Risiko berücksichtigen und unter Umständen die Risikobewertung anpassen oder gar den Versicherungsschutz entziehen.
LOGISTICS PILOT: In welchen Entwicklungen sehen Sie derzeit die größte Gefahr für die weltweiten Lieferketten?
Manigk: Mir bereiten die vielen geopolitischen Konflikte und Spannungen zwischen Nationen am meisten Sorgen, hier besonders der Konflikt im Südchinesischen Meer. Eine Eskalation würde zu erheblichen Störungen in den globalen Ladungsketten führen. Aber auch Naturkatastrophen wie Überschwemmungen können Transportinfrastrukturen und Logistikzentren beeinträchtigen. Das Thema Cybersicherheit gewinnt darüber hinaus an Bedeutung. Die zunehmende Digitalisierung der Logistikbranche hat neue Risiken geschaffen, insbesondere im Zusammenhang mit IT-Störungen. (bre)
Thomas Manigk
Er ist Managing Director bei der Bremer Spedition
Kopf & Lübben. Dort bildet er das Geschäftsführungsduo
zusammen mit Johan Padding.