Der Markt für Logistikimmobilien erlebt gerade eine Konjunkturdelle. Über die Ursachen und ihre Auswirkungen sprach der LOGISTICS PILOT mit Professor Alexander Nehm von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg und Francisco J. Bähr, geschäftsführender Gesellschafter bei Four Parx.
Nehm:
Die Assetklasse Logistik mag dieses Jahr zwar weniger stark performen als letztes Jahr, dennoch erfährt sie eine vergleichsweise stabile Nutzernachfrage. Dementsprechend bezieht sich diese Aussage eher auf die Investoren- als auf die Nutzerseite. Dabei sind die Ursachen für die aktuell spürbare Zurückhaltung vielfältig. Hier hat ein Cocktail aus hohen Baupreisen, Zinsentwicklung, Inflation, Ukraine-Krieg und Energiekrise den Markt verunsichert. Und Verunsicherung ist das, was Investoren am wenigsten mögen und was letztendlich zu der aktuellen Investitionszurückhaltung geführt hat.Bähr: Das ist auf zahlreiche Faktoren zurückzuführen, darunter in erster Linie die Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank, die eine starke Verunsicherung in den Markt gebracht haben. Dadurch hat sich das Ankaufsverhalten zahlreicher Investoren verändert; große institutionelle Investoren haben Ankäufe sogar fast vollständig ausgesetzt. Da gleichzeitig die Verkaufspreise um bis zu 40 Prozent gefallen sind, die Grundstücksankaufspreise sowie die Baupreise aber nicht im gleichen Verhältnis gesunken sind, verbleibt nur noch eine geringere Marge bei der Entwicklung von Projekten. Das bedeutet ein höheres Risiko. Die steigenden Mieten können zwar einiges auffangen, jedoch nicht in der Geschwindigkeit, in der die Margen gefallen sind.
LOGISTICS PILOT: Sind Flächenknappheit, die Entschlackung des Baurechts und die Notwendigkeit, Ökologie und Ökonomie in Einklang zu bringen, die Themen 2023?
Nehm: All diese Themen üben ordentlich Druck auf Logistikimmobilien aus. Dies ist in Hinblick auf deren Design, Energiehaushalt, Standortwahl und Nachhaltigkeit zunächst einmal positiv zu bewerten – allerdings auch überfällig. Die goldenen Zeiten, in denen man möglichst billig bauen und teuer verkaufen konnte, sind erst mal vorbei. Der Mangel an Flächen und die ESG- beziehungsweise Nachhaltigkeitsauflagen erzwingen Innovationen in Bezug auf das Produkt Logistikimmobilie. Das ist meiner Meinung nach aber auch eine Chance für die Branche, sich neu zu positionieren und das ramponierte Image grundlegend zu überarbeiten. Hier ein Beispiel: Im Wettbewerb um attraktive Flächen wird es immer schwieriger, bei den Kommunen zu punkten, die ihrerseits gezwungen sind, einen Beitrag zur Energieversorgung zu leisten. Gelingt es, rasch Konzepte zu entwickeln, bei denen die Immobile in der Lage ist, durch regenerative Energieversorgung – zum Beispiel Solar, Wind, Geothermie – Teile des kommunalen Energiebedarfs in Form eines lokalen Kraftwerks zu erzeugen, würde sich vor allem in puncto Akzeptanz und Image vermutlich einiges tun. Die Logistikimmobilie würde vom Problemerzeuger zum Problemlöser!
Bähr: Derzeit stehen zwei Arten von Flächenknappheit im Vordergrund. Die eine ist dadurch gekennzeichnet, dass es in den wenigsten Ballungsräumen noch geeignete Grundstücke gibt, die über das für Logistikimmobilien notwendige Baurecht verfügen. Die zweite Form von Flächenknappheit ist der mangelnden Akzeptanz von Logistikimmobilien in der Bürgerschaft, den Verwaltungen und der Lokalpolitik geschuldet. Das macht es immer schwieriger, neue Projektgrundstücke zu finden, und langwieriger, das entsprechende Baurecht beziehungsweise eine Baugenehmigung zu erhalten. Ein weiteres Thema ist die Digitalisierung der Logistikimmobilie. Hier befindet sich die Branche im digitalen Steinzeitalter, und über Strom- und Wasserzähler hinaus werden nur selten relevante Daten erfasst. Zukünftig werden jedoch weder die Umsetzung der EU-Taxonomie noch der ESG-Anforderungen als auch ein effizienter Betrieb ohne die Digitalisierung der Logistikimmobilie möglich sein.
„Verunsicherung ist das, was Investoren am wenigsten mögen.“
Prof. Alexander Nehm lehrt seit 2020 an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Mannheim und ist Experte für BWL mit dem Schwerpunkt Logistikimmobilien.
Nehm:
Im Bereich der Logistikimmobilien kann man wohl von den Big 7 sprechen: Nach Hamburg, Duisburg/Niederrhein und Rhein-Main zählen dazu Rhein-Neckar, Köln, Berlin und das östliche Ruhrgebiet. Aber auch Bremen/Bremerhaven und die Region Hannover gehören zu den Top Ten. Allgemein hat der Norden zwei entscheidende Vorteile gegenüber dem Süden: die Topografie und die großen Seehäfen. Das theoretische Flächenpotenzial ist hier deutlich größer als in bergigen Regionen. Zwar wird es auch in den nördlichen Topregionen immer schwerer, an gute Flächen zu kommen, doch aktuell tut sich eine Menge. So entsteht in Salzgitter eine Gigafabrik von VW zur Produktion von Batteriezellen, wodurch auch eine starke Logistiknachfrage zu erwarten ist. Ebenso wächst der JadeWeserPort. Der Projektentwickler P3 hat dort mit dem Bau von insgesamt 140.000 Quadratmetern Lagerfläche begonnen. Dieses Leuchtturmprojekt setzt ein wichtiges Signal für den Standort. Darüber hinaus gilt das Bremer Güterverkehrszentrum seit Jahren deutschland- und europaweit als Vorzeigemodell. Hier scheint Stillstand keinen Platz zu haben. Innovationen gehören hier zur DNA. Der aktuelle BLG-Neubau C3 ließ die Nordsee-Zeitung titeln: „Logistik-Halle als Kraftwerk: Die BLG beeindruckt Wirtschaftsminister Habeck.“ Die Maßnahmen zur Energieerzeugung an der neuen Halle sind außerordentlich und bilden eine gute Klammer zum eben geschilderten Beispiel.Bähr: Sicherlich bleiben die Big 5, also die Ballungszentren rund um Düsseldorf, Berlin, München, Hamburg und Frankfurt am Main, weiterhin die wichtigsten Märkte. Demgegenüber entwickeln sich andere, bisher nicht so starke Regionen zunehmend, so zum Beispiel um den Leipziger Flughafen, Erfurt und Magdeburg sowie die Regionen um Berlin und Bremen. Was Niedersachsen angeht, so sehe ich eine starke Entwicklung des JadeWeserPorts und des dortigen Hinterlands mit Auswirkungen auf die Region zwischen Oldenburg, dem Autobahnkreuz A1/A29 und Bremen.
LOGISTICS PILOT: Gehört die Zukunft eher „Brownfields“ oder „Greenfields“?
Nehm: Die Frage beantwortet sich fast automatisch. Zum einen ist der Verbrauch unversiegelter Flächen aus Nachhaltigkeitsgründen schlicht nicht mehr zeitgemäß. Zum anderen will die Bundesregierung den Flächenverbrauch bis zum Jahr 2030 auf unter 30 Hektar pro Tag verringern. Das bedeutet für die Logistikimmobilienwirtschaft eine weitere Wettbewerbsverschärfung, wenn es um die Vergabe gewerblicher Flächen geht. Brownfieldentwicklungen sind demnach mittlerweile in der Logistik „State of the Art“.
Bähr: Brownfields tragen den Herausforderungen der Zukunft Rechnung. Sie nutzen knappe Flächen effizient und versiegeln keine weitere „grüne Wiese“. Mit unserem mehrstöckigen Projekt „Mach2“ in Hamburg haben wir Pionierarbeit geleistet und gezeigt, wie eine flächeneffiziente Brownfieldentwicklung funktioniert: Auf einem 100.000 Quadratmeter großen Grundstück haben wir rund 120.000 Quadratmeter logistische Nutzfläche geschaffen. Bisher waren maximal 50 bis 60 Prozent Bebauung, also bis zu 60.000 Quadratmeter, auf solch einem Grundstück möglich. (bre)
„Die Branche befindet sich im digitalen Steinzeitalter.“
Francisco J. Bähr ist geschäftsführender Gesellschafter bei Four Parx. Das Unternehmen definiert sich als Innovator bei der Entwicklung von Gewerbe- und Logistikimmobilien.