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Unsere Welt ist im Umbruch

In welche Richtung entwickeln sich die Globalisierung und die Handelsbeziehungen? Und wie passt das mit unseren Bemühungen um den Klimaschutz zusammen? Professorin Lisandra Flach und Dr. Guido Baldi beleuchten die aktuelle Lage.

Fotos: DIW, IFO
Die Rufe nach Veränderung werden in unserer Gesellschaft immer lauter. Sind wir an einem Punkt angekommen, an dem sich unsere Welt radikal verändert – egal ob wir dabei von Reglobalisierung, Transformation oder Paradigmenwechsel sprechen?
Flach:
Die Pandemie und der Krieg gegen die Ukraine bedeuten in gewisser Weise eine Zäsur. Viele Unternehmen überdenken ihre Lieferketten und ihre Beschaffungsstrategie. Sie bewerten die globalen Risiken neu, vor allem angesichts der geoökonomischen Spannungen. Das bedeutet aber nicht das Ende der Globalisierung, sondern eher eine Neubewertung und Veränderung der Globalisierung.

Baldi:Es ist bestimmt so, dass unsere Welt im Umbruch ist. Ob man das als radikal bezeichnen möchte im historischen Vergleich, kann man sicherlich unterschiedlich sehen. Aber es zeichnen sich zweifelsfrei tiefgreifende strukturelle Änderungen ab. Der Umbau unserer Energieversorgung vor dem Hintergrund des Klimawandels und nun dem Krieg in der Ukraine ist eine enorme Herausforderung in kurzer Zeit.
Die Globalisierung wird sich wohl nicht vollständig zurückbilden, aber ihr Gesicht verändert sich. Es deutet momentan einiges darauf hin, dass wir auf eine Welt mit unterschiedlichen Blöcken jeweils unter Führung der USA und von China zusteuern. Allerdings sollte man im Hinterkopf behalten, dass solche strukturellen Änderungen immer auch wieder eine neue Richtung einschlagen können, die man sich noch nicht richtig vorstellen kann. So wurden ja zum Beispiel das Ende der Sowjetunion und die Wiedervereinigung Deutschlands nur von wenigen so vorausgesehen.

Was wird sich – aus Ihrer Sicht – auf dem Weg in eine sich neu ordnende Weltwirtschaft am intensivsten im Vergleich zum gegenwärtigen Zustand verändern?
Flach:
Die Unternehmen kalkulieren globale Risiken stärker ein und erkennen die Bedeutung von Investitionen in widerstandsfähigere Lieferketten. Die Politik sieht die Bedeutung von Umwelt- und politischen Aspekten bei der Gestaltung der Handelspolitik.

Baldi: Globale Risiken nehmen zu, weil häufiger irgendwo auf der Welt Dinge passieren, die man höchstens erahnen konnte. Internationale Regeln werden weniger durchgesetzt beziehungsweise zurechtgebogen, etwa bei Konflikten oder im internationalen Handel. Russland hat den Angriffskrieg auf die Ukraine völkerrechtlich sehr abenteuerlich begründet, um den Anschein zu erwecken, er sei legal. Internationale Handelsregeln werden weniger eingehalten, was die Risiken unerwarteter Zollerhöhungen oder von anderen Handelsbeschränkungen erhöht.

„Es deutet einiges darauf hin, dass wir auf eine Welt mit unterschiedlichen Blöcken unter Führung der USA und von China zusteuern.“

Dr. Guido Baldi, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Konjunkturpolitik am DIW Berlin

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Welcher Weg ist für Deutschland und Europa künftig besser: mehr oder weniger globaler Handel? Und wie sollten wir am besten auf die wirtschaftliche Dominanz von China reagieren?
Flach:
Die Globalisierung wird nicht zurückgedreht, sondern die Art und Weise, wie wir Globalisierung verstehen, wird sich ändern. So wird sich beispielsweise die Globalisierung im Dienstleistungsbereich – wie bei Finanzdienstleistungen und Software-Engineering – weiterhin rasant weiterentwickeln.

Baldi: Die Vorteile von Handel sollten nicht unterschätzt werden. Darum wäre die allgemeine Forderung nach weniger Handel nicht zielführend. Aber Diversifizierung ist wichtig. Man sollte sich bei wichtigen Rohstoffen, zum Beispiel Erdgas, seltenen Erden, Lithium und so weiter, weniger abhängig von einzelnen Lieferländern machen. Auch bei Exportmärkten ist Diversifizierung wichtig. Das „chinesische Wirtschaftswunder“ kommt an ein Ende. Hohe Zuwächse bei Exporten nach China sind nicht mehr zu erwarten, auch wenn das Land aufgrund seiner Größe ein wichtiger Markt bleiben dürfte.

Was muss passieren, damit wirtschaftliche Interessen und der Klimaschutz sich nicht gegenseitig blockieren?
Flach:
Aus meiner Sicht sollten wir vor allem darauf bedacht sein, die Handelspolitik im Einklang mit den Klimaschutzinteressen zu gestalten.

Baldi: Es wird immer wieder argumentiert, dass sich wirtschaftliche Interessen und der Klimaschutz gegenseitig ausschließen. Aber das muss nicht so sein. Es ist zwar so, dass der Ausstoß von Treibhausgasen meist eine sogenannte negative Externalität darstellt. Unternehmen oder Haushalte, die etwa beim Fliegen oder der Energiegewinnung diese Treibhausgase ausstoßen, tragen ohne staatliche Eingriffe die Kosten für den daraus entstehenden Klimawandel nicht, und die wirtschaftlichen Interessen stehen dann nicht im Einklang mit dem Klimaschutz. Aber wir wissen eigentlich sehr gut, wie staatliche Regulierungen die privaten Unternehmen und Haushalte dazu bringen können, den Treibhausgasausstoß zu verringern. Dies kann über eine direkte Besteuerung von Treibhausgasen geschehen, über handelbare Emissionsrechte, oder über direkte Regulierungen, bei denen etwa der Verbrenner ab einem bestimmten Jahr verboten wird. Zudem spielen Subventionen eine wichtige Rolle, mit denen beispielsweise Gebäudesanierungen oder die Entwicklung neuer Technologien gefördert werden. Wirtschaftliche Interessen und Klimaschutz schließen sich also nicht aus, aber es braucht gewisse staatliche Eingriffe, um private Akteure in Richtung Klimaschutz zu lenken. Das Problem war in der Vergangenheit, dass die Politik zu zögerlich agiert hat. (bre)

„Die Globalisierung wird nicht zurückgedreht, sondern die Art und Weise, wie wir Globalisierung verstehen, wird sich ändern.“

Prof. Dr. Lisandra Flach, Professorin für Volkswirtschaftslehre, insbesondere für die Ökonomik der Globalisierung, und Leiterin des Zentrums für Außenwirtschaft am Münchener ifo Institut

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