Wer in den Ländern Nordafrikas auf beruflichem Terrain punkten will, sollte flexibel auf landesspezifische Charakteristika reagieren – am besten mit Fingerspitzengefühl und fundiertem Hintergrundwissen.
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Karsten Lange, der über viele Jahre für eine Bremer Reederei das Nordafrikageschäft abwickelte und somit oft in der Region zu Gast war, bringt die Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Geschäftsbesuch dort so auf den Punkt: „Es gilt zuerst einmal, ein Vertrauensverhältnis zu seinem Handelspartner aufzubauen und dieses entsprechend zu pflegen.“ Das funktioniere aber nicht von heute auf morgen und erst recht nicht nur über E-Mails, Telefonate oder Videokonferenzen. Vielmehr sei es erforderlich, sich regelmäßig persönlich vor Ort zu zeigen und dabei möglichst viel Zeit mitzubringen. „Araber sind in der Regel zunächst recht distanziert und benötigen eine längere Anlaufphase, um mit ihrem Gegenüber warm zu werden“, so Lange.
Für Geschäftsreisende aus Europa bedeutet das vor allem, Geduld mitzubringen und, wenn möglich, inhaltlich nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Wer das beherzigt und wer in der Kennenlernphase insbesondere politische und religiöse Themen so weit wie möglich außen vor lässt, hat langfristig gute Karten. „Als gutes Einstiegsthema eignet sich fast immer der Fußball, er ist völkerverbindend und erfreut sich in Nordafrika großer Beliebtheit“, so Lange. Diese Meinung teilt auch Volker Kröning, Honorarkonsul von Marokko, und ergänzt mit einem leichten Augenzwinkern: „Ein Gespräch über die afrikanische Champions League ist möglicherweise ein guter Einstieg in ein gutes Arbeitsverhältnis – zumal in diesem Wettbewerb seit 2017 nur nordafrikanische Mannschaften im Finale gestanden haben.“ Gleichzeitig empfiehlt er, sich im Vorfeld jeder Nordafrikareise umfassend mit der Geschichte und Kultur der einzelnen Länder vertraut zu machen. „Auf Unterschiede kommt es ebenso an wie auf Gemeinsamkeiten. Wer mit beidem vertraut ist, ist bestens gerüstet, um Businessbeziehungen produktiv zu gestalten“, so Kröning.
„Ihr habt die Uhr, wir haben die Zeit“
Gemeinsam weisen die beiden Experten auch darauf hin, dass die Uhren im Maghreb anders als in Europa ticken – und zwar im Sinne des arabisches Sprichworts: „Ihr habt die Uhr, wir haben die Zeit.“ Salopp übersetzt soll das heißen, dass es für die Menschen dort häufig wichtigere Dinge gibt, als Zeitfenster exakt einzuhalten. Dementsprechend sollte man Aussagen wie „Er ist in einer Stunde wieder am Platz“ oder „Kommen Sie morgen noch einmal wieder“ zwischen Marokko und Ägypten nicht unbedingt auf die typisch deutsche Goldwaage legen. „Dennoch“, so betont Kröning, „wird von deutschen Unternehmen und ihren Vertretern Pünktlichkeit erwartet.“ „Diese Erwartungshaltung ist allerdings eine klare Einbahnstraße, denn sie wird von den Einheimischen im Gegenzug nur selten erfüllt“, resümiert Lange. Deshalb rät er davon ab, mehrere Termine mit unterschiedlichen Geschäftspartnern im Zuge einer Nordafrikareise kurz hintereinander zu planen. „Schon beim ersten Termin, kann es zu Verzögerungen kommen, durch die weitere Folgetermine nicht mehr wie geplant haltbar sind“, so der Ex-Reedereimanager. Vor diesem Hintergrund appelliert er auch an die Rück- und Weitsicht europäischer Gäste. So könnten Besprechungen in der Region aufgrund von Gebeten gläubiger Ansprechpartner durchaus mehrfach am Tag unterbrochen werden. Ebenso solle man überdenken, ob Terminplanungen in der Zeit des Ramadans sinnvoll seien, weil die Gastgeber durch die damit verbundene reduzierte Nahrungsaufnahme eventuell geschwächt sein könnten.
Hat das Meeting erst einmal begonnen, ist es hilfreich, mit Fingerspitzengefühl zu agieren, auf nonverbale Signale beim Gegenüber zu achten und gern auch mal zwischen den Zeilen zu lesen. „Höflichkeit und Stil sind dort noch immer mehr zu Hause als in Deutschland. Deshalb ist es sinnvoll, diplomatisch und mit Respekt zu agieren“, berichtet Kröning. „Klare Kante und ein deutliches Nein werden Sie im Maghreb nie hören, denn das gilt als unhöflich und ungebildet“, betont auch Lange. Stattdessen redeten die Verantwortlichen im Falle einer Ablehnung zumeist um die Dinge herum, oder man thematisiere den jeweiligen Sachverhalt gar nicht erst. Dabei gelte alles, was nicht mit einem klaren Ja beantwortet werde, als abgelehnt. „Wie auch immer sich der Sachverhalt im Laufe des Gesprächs entwickeln mag, man ist dort stets darauf bedacht, dass am Ende alle Beteiligten ihr Gesicht waren“, unterstreicht Kröning.
Vertrauen wird „vererbt“
Einig sind sich die Bremer Nordafrikaexperten auch darin, dass es eines gehörigen Maßes an Improvisationstalent bedarf, um die speziellen Herausforderungen vor Ort zu meistern – zu denen natürlich nicht nur unübersichtliche Zeitfenster, ungewohnte Gesprächsstrukturen oder indirekt kommunizierte Ablehnungen zählen. „Aber selbst dieses Talent ist nur bedingt hilfreich, wenn es nicht von entsprechendem Fachwissen flankiert wird. Deshalb ist vor allem die richtige Mischung aus beiden Aspekten entscheidend“, so Lange. Im besten Falle sollte sich seiner Ansicht nach die Kompetenz des europäischen Gastes auch im Titel auf der Visitenkarte widerspiegeln. „In Nordafrika wird die Visitenkartenübergabe zwar nicht so ausgiebig zelebriert wie in Asien, aber auch hier sind Titel und Hierarchien von besonderer Bedeutung. Mit einem Titel unterhalb des Geschäftsführers können sie im Maghreb nur sehr begrenzt etwas bewegen“, findet Lange deutliche Worte. Das Schöne an Nordafrika sei für ihn allerdings, dass man dort ein einmal erworbenes Vertrauen automatisch auf die nächste Generation übertrage – auch im Falle von Geschäftspartnern. „Aufgrund der ausgeprägten arabischen Familienstrukturen ist dieser Vertrauensbonus quasi vererbbar. Eine, wie ich finde, angenehme Perspektive.“ (bre)
Rückblick: Auf der Landwirtschaftsmesse „SIAM“ in Meknès tauschte sich Honorarkonsul Volker Kröning (2. v. l.) 2012 mit Prinz Moulay Rachid von Marokko (2. v. r. ) aus.
„Die Hoffnung auf eine politische Zeitenwende hat sich noch nicht erfüllt“
Interview mit Dr. Jochen Tholen von der Universität Bremen zum Arabischen Frühling.
Im Dezember 2010/Frühjahr 2011 gab es im arabischen Raum eine Serie von Protesten und Aufständen, die unter der Bezeichnung Arabischer Frühling in die Geschichtsbücher eingegangen sind und in deren Verlauf mehrere Herrscher aus dem Amt gejagt wurden. Was hat diese Revolution unter dem Strich bewirkt?
Hintergrund
Dr. Jochen Tholen
lehrt an der Universität Bremen die Forschungs-schwerpunkte maritimer Sektor (insbesondere Schiffbau/Werften und Tiefseebergbau) und Transformationsgesell-schaften (Mittel-Osteuropa sowie Länder der ehe-maligen Sowjetunion und arabischer Raum). Er leitete auch das von der EU geförderte Forschungsprojekt „SAHWA“, das von 2014 bis 2017 die Erfahrungen und Enttäuschungen junger Menschen mit dem Arabischen Frühling zum Thema hatte.
Sie war ein Aufbegehren vor allem der jungen Menschen gegen fehlende Möglichkeiten an politischer, wirtschaftlicher und sozialer Teilhabe. Hunderttausende protestierten gegen Diktatoren und autokratische Herrscher. Die Protestierenden forderten soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Würde. Doch die autoritären Regime in der Region zogen schnell ihre Konsequenzen – vor allem in Form des gegenseitigen Lernens von Repressionstaktiken und der systematischen Aufrüstung der Sicherheitsapparate. Dabei wurden die wenigen kosmetischen Reformen stets von Präventionsmaßnahmen zur Vorbeugung gegen weitere Mobilisierungen begleitet. So dominieren dort auch heute autoritäre Staaten und repressive Systeme, allen voran das Militärregime in Ägypten und die Golfmonarchien, die die Gegenrevolution angeführt haben. In Syrien, im Jemen und auch in Libyen endete der Arabische Frühling im Fiasko – mit Bürgerkriegen und Migration.
Welches sind heute, rund zehn Jahre nach dem Arabischen Frühling, die größten gesellschaftlichen Probleme dieser Region?
THOLEN: Ich denke, das sind vor allem der demografische Wandel und die wirtschaftlich-soziale Ungerechtigkeit. Lebten 1970 nur 128 Millionen Menschen in der arabischen Region, waren es 2010 schon knapp 360 Millionen. Nach UN-Prognosen können es 2050 fast 600 Millionen sein. In weniger als einem Jahrhundert wäre dies eine Verfünffachung der Einwohnerzahl. Mit den steigenden Bevölkerungszahlen sind unter anderem Probleme wie dramatische Wasserknappheit, hohe Arbeitslosigkeit und vor allem fehlende wirtschaftliche Perspektiven für junge Menschen verbunden. Ein weiteres Problem ist die arabische Spielart des Klientelismus, „Wasta“ genannt. Nur durch Beziehungen zu den jeweiligen politischen und ökonomischen Machteliten winkt dabei eine berufliche Karriere, die es erlaubt, die Familie einigermaßen zu ernähren und ein lebenswertes Leben zu führen. Dieses Wasta-System reicht weit in die Funktionsweisen der staatseigenen Betriebe, des öffentlichen Dienstes und des Militärs hinein. Es führt zum Wohlstand einer kleinen Bevölkerungsschicht, ist gleichzeitig aber auch mitverantwortlich für die Stagnation der Wirtschaft und das Fehlen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften in diesem Raum.
Es gibt Menschen, die der Meinung sind, dass die Situation in diesen Ländern heute schlimmer als vor elf Jahren sei. Teilen Sie diese Ansicht?
THOLEN: Die Hoffnung auf eine politische Zeitenwende hat sich noch nicht erfüllt. Nur in Tunesien konnte sich eine fragile Demokratie etablieren, mancherorts sind die Verhältnisse aber schlechter als zuvor. Insofern hat der Arabische Frühling kaum eine der mit ihm verbundenen Erwartungen erfüllt. Deswegen kann man ihn einerseits als gescheiterte Revolution bezeichnen, andererseits hat er jedoch zum ersten Mal gezeigt, dass auch in der arabischen Welt viele Menschen bereit waren, für ihre Rechte auf die Straße zu gehen, um Despotien abzuschaffen und tiefgreifende Reformen einzufordern.
Manche sagen, dass die Mehrheit der Araber eine liberale Demokratie westlicher Prägung für die beste Regierungsform hält. Gibt es dafür aus Ihrer Sicht eine realistische Chance?
THOLEN: Eine liberale Demokratie westlicher Prägung wird nicht unbedingt von allen in der Region als Vorbild und bevorzugte Regierungsform angesehen. Wenn das jedoch so wäre, dann müssten zu Beginn eines echten Transformationsprozesses in der arabischen Welt nicht nur freie Wahlen stehen. Mindestens genauso wichtig wäre der Aufbau einer organisierten Zivilgesellschaft mit einem Wandel in den Geschlechterbeziehungen sowie eine klaren Trennung von Staat und Religion. Das zusammen halte ich aber für ziemlich unrealistisch, zumal viele Menschen in Nordafrika inzwischen den Glauben an die Politik und die Demokratie verloren haben. (bre)