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Immer eine Tür offen halten

Japaner gelten innerhalb der Region als die Preußen Asiens. Trotz einiger Gemeinsamkeiten gibt es allerdings kaum eine Industrienation, die sich kulturell so sehr von Deutschland unterscheidet wie Japan.

Fotos: RAWPIXEL.COM, TIM GOYDKE, FREEPIK/ARTIFLOW

Wer einmal beobachtet hat, wie die Menschen auf den Fernbahnsteigen in japanischen Bahnhöfen ohne zu drängeln an verschiedenfarbigen Linien in Reih und Glied anstehen, versteht, warum sie die Preußen Asiens genannt werden. Allerdings: „Insgesamt betrachtet muss man feststellen, dass das Denken und Handeln in Japan und Deutschland grundlegend anderen Mustern folgt“, erläutert Tim Goydke, Professor für Wirtschaft und Gesellschaft Japans an der Hochschule Bremen. „Und gegenüber Japanern am allerwichtigsten ist Höflichkeit.“

Sprachkurse für japanische Berufsanfänger

Das fängt schon bei der Begrüßung an: „Eine Visitenkarte ist unverzichtbar, auch um den Status zu erkennen“, so der Professor. Dieser Brauch mag vielen Geschäftsleuten bereits bekannt sein. Nicht jeder weiß allerdings, in wie vieler Hinsicht Höflichkeit von Bedeutung ist. „Im Japanischen gibt es je nach Rang mindestens drei wichtige Höflichkeitsstufen bei der Ansprache, eigentlich sogar noch mehr“, erläutert Goydke, der inzwischen über 30-mal in Japan war. Entsprechend ändert sich das Vokabular, das selbst japanische Berufsanfänger erst in eigens dafür angebotenen Sprachkursen erlernen müssen. Ein Beispiel: Für das Wort „gehen“ gibt es verschiedene Verben, je nachdem ob man sich siezt oder duzt. Dabei sind die Schriftzeichen zwar die gleichen, aber die Aussprache unterscheidet sich.

„Zudem ist die japanische Gesellschaft sehr hierarchisch“, unterstreicht Goydke. Daher ist es ganz wichtig, dass bei Geschäftskontakten die Position auf der Visitenkarte genannt wird. Von japanischer Seite wird die Sitzordnung entsprechend der Hierarchie festgelegt. „Dadurch sieht man, wer der Wichtigste ist.“ Ein weiterer Anhaltspunkt ist das Alter, weil in aller Regel der Älteste der Chef ist. „Das Problem ist nur, dass das für Europäer nicht immer leicht zu erkennen ist“, schmunzelt Goydke. Wer hingegen die Verhandlung führt, bemisst sich meist ausschließlich nach den besten Englischkenntnissen und ist kein Indiz für den Rang. Um es sich bei einer Vielzahl von Gesprächspartnern etwas leichter zu machen, sei es durchaus üblich, die Visitenkarten vor sich hinzulegen und zu sortieren. „Das tun die Japaner selbst auch“, betont der Professor.

Mit Stäbchen essen kommt gut an

Nicht nur nach einem Verhandlungstag wird das gemeinsame Essen mit Kollegen und Geschäftspartnern in Japan geschätzt. „Es muss aber nicht die Landesküche sein, sehr beliebt ist auch dort westliches Essen.“ Wenn Japaner in ein asiatisches Restaurant einladen, erwarten sie nicht, dass ihre Gäste auch mit Stäbchen essen können. „Dazu sind sie viel zu höflich“, erläutert der Experte. „Aber es ist natürlich ein Pluspunkt, wenn man das kann.“
Beim Essen mit Stäbchen gibt es jedoch einige Stolperfallen, auf die unbedingt geachtet werden sollte. „Das hat damit zu tun, dass Japaner sehr abergläubisch sind“, erklärt Goydke. „Essen darf daher auf keinen Fall mit Stäbchen weitergegeben werden, da dies an die Totenzeremonie erinnert, bei der dies mit den Knochen der Toten nach der Verbrennung gemacht wird.“ Ein kompletter Fauxpas wäre es außerdem, die Stäbchen in das gefüllte Reisschälchen zu stecken. „Das machen die Japaner nur zu Hause in dem täglich für die Ahnen frisch bereitgestellten Schälchen auf dem Totenschrein zu deren Gedanken.“

Das als Geschäftsreisender zu sehen, wäre allerdings eher ungewöhnlich. „Nach Hause werden selbst enge Freunde nicht unbedingt eingeladen.“ Falls doch, müssen auf jeden Fall die Schuhe ausgezogen werden. Pantoffeln werden zum Teil außerdem beim Betreten von Restaurants, Tempeln und Schreinen getragen. Oft gibt es auch spezielle Toilettenschuhe, die ausschließlich zum Betreten dieser Räume dienen und dort bereitstehen. Das kann im Fall von etwas größeren westlichen Füßen eine gewisse Komik bergen und für große Erheiterung sorgen, wenn man vergisst, diese dort wieder auszuziehen.

Langfristige Geschäfts­beziehungen und Vertrauen

Wer im Herkunftsland des Sushis dazu eine Misosuppe (eine klare Brühe mit einer Einlage aus Tofu und etwas zartem Gemüse) serviert bekommt, sollte sich nicht wundern, wenn die Japaner diese trinken. Ebenso werden auch Nudelsuppen lautstark geschlürft, einerseits weil sie sehr heiß serviert werden und sonst kaum zu essen wären, andererseits aber auch, um den Genuss kundzutun.
Weil Vertrauen in Nippon die Basis für jegliches Business ist, könnten Geschäftsleute auch zum Essen des berühmten Kugelfisches Fugu eingeladen werden. Dieser wird nur in Restaurants mit einer speziellen Lizenz serviert, da Teile von ihm tödlich giftig sind. Verzehrt werden natürlich nur die wenigen anderen Teile, die dafür umso teurer sind. „Eigentlich schmeckt das nach nichts, deshalb wird dazu eine kräftige Sojasoße gereicht“, weiß Goydke. Japaner seien grundsätzlich an langfristigen Geschäftsbeziehungen und Kooperationen interessiert, weshalb eben auch der Kugelfisch ein Test sein könnte, um festzustellen, ob der Partner das mitmacht.

Konsensorientierte Entscheidungs­findung

Anders als man vielleicht erwarten könnte, ist die Entscheidungsfindung in Nippon nicht hierarchisch. Bei den oft sehr langen Verhandlungen sei das ein Kernpunkt der Probleme, gibt der Ökonom zu Bedenken: „Japanische Unternehmen sind konsensorientiert, und in Verhandlungen kann daher nichts entschieden werden.“ Vielmehr werden alle relevanten Informationen eingesammelt und anschließend alle im Unternehmen informiert, bis eine Entscheidung getroffen wird. „Diese Ungleichzeitigkeit der Entscheidung kann irritieren“, hebt der Japankenner hervor.
Stets sollte im beruflichen Kontakt mit Japan außerdem im Hinterkopf behalten werden, dass niemand das Gesicht verlieren darf. Daher sollte immer Kompromissbereitschaft gezeigt werden. „Wer jemanden zu hart oder lautstark angeht, gilt als unhöflich. Das wird nicht geschätzt, da beide dadurch das Gesicht verlieren“, erklärt Goydke. „Auch ein klares Nein gibt es eher nicht, Japaner sagen lieber alles Mögliche andere, um das zu vermeiden. Eine Ausnahme gilt lediglich, wenn Kollegen mit ihrem Chef abends in die Karaokebar gehen.“ Mit etwas Alkohol im Blut kann das eine Ventilfunktion haben und es darf auch einmal etwas deutlicher Kritik geübt werden. Grundsätzlich aber sei eine gewisse Unschärfe Teil der japanischen Kultur: „Man hält sich gern noch eine Tür offen.“ (cb)

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Tim Goydke
Professor für Wirtschaft und Gesellschaft Japans, Hochschule Bremen