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Hoffnungsträger oder Sorgenkind?

Seit Anfang des Jahres wirbelt die Coronapandemie auch die globalen Logistikketten von und nach Lateinamerika erheblich durcheinander. Experten beobachten die Entwicklung mit Sorge, attestieren der Region aber dennoch ein langfristiges Wachstumspotenzial.

Fotos: CrazyRohingya/shutterstock, Germany Trade & Invest

Weitere Fotos: Hapag-Lloyd, renan araujo/unsplash, Deutsch-Brasilianische Industrie- und Handelskammer, J. Müller (2), Leschaco (2), artes2franco/Pixabay

Zwischen Europa und Lateinamerika bestehen umfangreiche und vor allem langfristig gewachsene Handelsbeziehungen. Ein Blick auf die genauen Zahlen zeigt aber, dass die Region nicht annähernd die wirtschaftliche Bedeutung besitzt, die die USA, China, oder Frankreich für Deutschland haben. So machten die Exporte nach Lateinamerika im vergangenen Jahr nur 2,6 Prozent der deutschen Ausfuhren aus. Dabei befand sich 2019 kein Land Lateinamerikas unter den Top-20-Exportzielen der deutschen Wirtschaft. Wichtigster Abnehmer deutscher Produkte in der Region war dem Statistischen Bundesamt (Destatis) zufolge Mexiko (Rang 22), gefolgt von Brasilien (27), Chile (50), ­Argentinien (53), Kolumbien (56) und Peru (70). Beim Import sieht die Lage ähnlich aus: Mexiko (30) und Brasilien (32) sind die dominierenden lateinamerikanischen Lieferländer. Erst mit deutlichem Abstand folgen Peru (60), Chile (62), Argentinien (63) und Kolumbien (71). Angesichts dieser Zahlen resümiert Jenny Eberhardt, Senior Managerin Amerika bei der bundeseigenen Wirtschaftsförderungsgesellschaft Germany Trade & Invest (GTAI): „Die Bedeutung Lateinamerikas als Handelspartner war in der jüngeren Vergangenheit auf niedrigem Niveau stabil. Dabei ist das Außenhandelsvolumen zwischen Deutschland und den lateinamerikanischen Ländern – mit einigen Ausnahmen – über die letzten Jahre hinweg geringfügig gestiegen.“

Markt mit über 650 Millionen Verbrauchern

Vor diesem Hintergrund hat GTAI vor allem Maschinen, Kfz und Kfz-Teile sowie chemische Erzeugnisse als die wichtigsten deutschen Exportgüter nach Lateinamerika ausgemacht (siehe dazu auch die Seiten 4 und 5). Im Gegenzug sind es vor allem Rohstoffe und Lebensmittel, die nach Deutschland importiert werden. „Einige Länder Lateinamerikas gehören zu den führenden Produzenten von Rohstoffen und Agrarprodukten weltweit, etwa Chile bei Kupfer, Argentinien und Brasilien bei Soja und Rindfleisch, Brasilien und Kolumbien bei Kaffee und Mexiko bei Avocados“, erläutert Eberhardt. Ergänzend weist sie auf die weltweit größten Lithiumvorkommen im Dreiländereck Argentinien-Bolivien-Chile hin. Das dort vorhandene Leichtmetall wird insbesondere für die Batterieproduktion benötigt.

„São Paulo ist der weltweit größte deutsche Industriestandort außerhalb Deutschlands.“

Jenny Eberhardt, Senior Managerin Amerika bei Germany Trade & Invest (GTAI)

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Unterschiedliche Farbe – unterschiedliche Ladungsart: In seinen orangen Containern transportiert Hapag-Lloyd Waren aus dem Dry-Segment und in den weißen Containern temperaturempfindliche Güter wie Obst und Gemüse, Fleisch und Fisch oder auch Medikamente und Blutplasma.

Dass Lateinamerika für Deutschland – trotz der verhältnismäßig geringen absoluten Zahlen – einen hohen Stellenwert besitzt, zeigt sich daran, dass zahlreiche deutsche Unternehmen, unter anderem große Automobilhersteller, bereits seit Jahrzehnten mit eigenen Tochterfirmen vor Ort sind. „São Paulo ist der weltweit größte deutsche Industriestandort außerhalb Deutschlands. Über 1.000 deutsche Unternehmen sind dort vertreten“, so Eberhardt. „Zudem ist Lateinamerika ein großer Markt mit über 650 Millionen Einwohnern und einer jungen Bevölkerung, die sich durch ein hohes Maß an Konsumfreudigkeit auszeichnet. Das macht die Region attraktiv und bietet vielfältiges Potenzial.“ Zum Vergleich: In der EU leben „nur“ 446 Millionen Menschen.

Zu den Unternehmen, in deren Strategien Lateinamerika eine wichtige Rolle spielt, gehören auch die Reederei Hapag-Lloyd, der Logistikdienstleister Leschaco und der Hafen­dienstleister J. MÜLLER. Hapag-Lloyd betreibt derzeit mit seiner Flotte mehr als 20 Liniendienste in die Region. „So vielfältig wie die einzelnen Länder Lateinamerikas sind auch unsere Kunden und die Produkte, die wir transportieren“, umreißt Andres Kulka, Managing Director Latin America bei Hapag-Lloyd. Dabei befördere man im Dry-Segment vor allem Rohstoffe wie Kupfer, Zellstoffe und andere Holzprodukte, aber auch Chemikalien, Autoteile und Elektronik. Die Kühlcontainer seien hingegen vor allem mit Kirschen, Bananen, Ananas, Trauben, Äpfeln und Fleisch gefüllt. „Mit einem Anteil von 40 Prozent an unserem gesamten Reefer-Geschäft ist die Region für uns von besonderer Bedeutung“, so Kulka.

Die aktuelle Entwicklung in Lateinamerika beschreibt er aufgrund von Covid-19 als „sehr herausfordernd“. Grundsätzlich gehe man deshalb davon aus, dass die Pandemie das Wirtschaftswachstum bis 2021 eintrüben könnte. „Dennoch glauben wir an die Region und sind verhalten optimistisch, insbesondere was unser Reefer-Geschäft angeht“, so Kulka. Allerdings habe man sowohl im Reefer- als auch im Dry-Segment, aufgrund der globalen Handelsschwankungen mit erheblichen Ungleichgewichten bei den Leercontainer­strömen zu kämpfen: „Mit allen Partnern in Lateinamerika verzeichnet Deutschland einen Handelsüberschuss. Das heißt, dass mehr Produkte und Container in die Region exportiert werden, als von dort eingeführt werden. Für uns als ­Carrier ist es deshalb entscheidend, unsere Container möglichst schnell dorthin zu bewegen, wo sie gebraucht werden. Bisher gelingt uns das sehr gut“, resümiert Kulka.

Großbaustelle Infrastruktur

Die Firma J. MÜLLER ist ebenfalls im Lateinamerika­geschäft aktiv – schwerpunktmäßig in den Bereichen Agrar- und Forstprodukte. Für diese beiden Produktgruppen gilt Brasilien als weltweiter Hauptexporteur und die Metropole São Paulo als ein wichtiger Wirtschaftsstandort. Aus dieser Konstellation heraus ist Sebastian Behrendt als J.-MÜLLER-Vertreter in São Paulo tätig. „Da in der südamerikanischen Geschäftskultur großen Wert auf persönlichen Kontakt gelegt wird, ist es wichtig, einen Muttersprachler als Ansprechpartner direkt vor Ort zu haben“, so Behrendt. Mit dem Blick auf ganz Lateinamerika gerichtet stellt er allerdings fest: „Die Länder der Region sind noch ohne Zweifel als Entwicklungsländer zu betrachten, wobei eine starke Konzentration der Wirtschaft in Metropolen charakteristisch ist.“ Zudem leide Südamerika unter einer mangelnden Infrastruktur. „In Brasilien“, so Behrendt, „konzentrieren sich rund 70 Prozent aller Transporte auf Lkws. Und dass, obwohl das Land eine kontinentale Größe besitzt und damit theoretisch besser für Bahntransporte oder Küsten- beziehungsweise Binnenschifffahrt geeignet wäre.“

„Für uns ist es entscheidend, unsere Container schnell dorthin zu bewegen, wo sie gebraucht werden.“

Andres Kulka, Managing Director Latin America bei Hapag-Lloyd

São Paulo ist die größte Stadt Brasiliens. In ihrem Einzugsgebiet leben mehr als zwölf Millionen Menschen. Die Stadt gilt als Wirtschafts-, Finanz- und Kulturzentrum Brasiliens und ist der weltweit größte deutsche Industriestandort außerhalb Deutschlands.

Für zusätzliche Instabilität sorge seiner Meinung nach auch die Politik: Nachdem man in Ländern wie Argentinien, Brasilien und Chile zuletzt für etwa 30 Jahre wirtschaft­liches Wachstum, politische Stabilität und internationale­ ­Attraktivität genossen habe, würden diese Länder nun verstärkt Unruhen erleben – sei es wegen Korruptionsskandalen, wirtschaftlicher Krisen oder Protesten für mehr soziale Gerechtigkeit. „Die Reife der dortigen Institutionen befindet sich täglich auf dem Prüfstand. Fast jedes Land sammelt noch Erfahrungswerte, um notwendige Reformen einzuführen und um die regelmäßig auftauchenden wirtschaftlichen und soziale Krisen zu vermeiden. Gelingt das, wird sie das attraktiver für internationale Investoren ­machen“, ist sich Behrendt sicher.

Insgesamt attestiert er Lateinamerika aber auch schon jetzt eine hohe Wichtigkeit für die weltweite Industrie“, und damit verbunden ein großes Wachstumspotenzial. Allerdings nicht, ohne mahnend den Zeigefinger zu erheben: „In der näheren Zukunft werden die dortigen Länder merken, dass sich wirtschaftliches Wachstum nicht langfristig an Exporten von Rohstoffen und Konsumgütern orientieren kann, sondern dass es Zeit wird, in Technologien, nachhaltige Energiequellen und in Großprojekte für die Infrastruktur – also in Bahnnetze, Häfen und Wasserwege – zu investieren. Denn da liegt das tatsächliche Potenzial für die wahre Entwicklung der Region.“

Freihandelsabkommen als Katalysator

Leschaco ist im Rahmen seines internationalen Netzwerks ebenfalls seit Jahrzehnten mit eigenen Büros in Brasilien und Mexiko vertreten. Darüber hinaus verfügt das Logistikunternehmen über eine eigene Organisation in Chile und ist über Partnerschaften mit Agenturvertretungen in nahezu allen Ländern innerhalb der Region präsent. Der Fokus liegt dabei auf internationalen Transporten in der Luft- und Seefracht. Darüber hinaus bietet Leschaco aber auch zunehmend lokale Dienstleistungen an, um seinen Kunden eine lückenlose End-to-End-Logistikkette offerieren zu können­. Dazu zählen unter anderem Tätigkeiten im Bereich der Verzollung, des Vor- und Nachlaufs innerhalb des Landes sowie bei der Ein- oder Zwischenlagerung der Waren. „Mit diesem Leistungspaket konnten wir bisher über viele Jahre überproportionale Wachstumsraten in Lateinamerika erzielen, obwohl die allgemeine wirtschaftliche Lage dort nicht immer zum Besten stand” so Martin Sack, Regional Head Americas von Leschaco. „In diesem Jahr sind wir natürlich durch die Coronakrise ­betroffen und verzeichnen eine Verringerung des Geschäfts­volumens im Vergleich zum Vorjahr.“ Dennoch bleibt man bei Leschaco optimistisch, was die Entwicklung in der Region betrifft. Nach eigener Aussage fasst das Unternehmen mit Hauptsitz in Bremen für die nahe Zukunft sogar weitere Investitionen in den Ausbau der firmeneigenen Struktur in Lateinamerika ins Auge.

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„Fast jedes Land in Lateinamerika ­sammelt noch Erfahrungswerte, um notwendige Reformen einzuführen.“

Sebastian Behrendt, Vertreter von J. MÜLLER in São Paulo

Von Brake aus finden Agrar- und Forst­produkte mit Unterstützung von J. MÜLLER den Weg in alle Winkel Latein­amerikas – oder von dort nach Niedersachsen.

Wie seine Kollegen bei Hapag-Lloyd und J. MÜLLER sieht auch Sack in dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Mercorsur (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) einen möglichen Katalysator: „Dadurch würde der Warenhandel zwischen Europa und der Mercosur-Region enorm zulegen; Wirtschaft und Unternehmen auf beiden Seiten würden ­davon profitieren, einschließlich der Logistikbranche.“ Bis zur Umsetzung ist es allerdings noch ein weiter Weg. Denn das Abkommen befindet sich derzeit in der formaljuristischen Prüfung und wird den beteiligten Staaten erst anschließend zur Prüfung vorgelegt. „Ein endgültiges Inkrafttreten des ­Abkommens erwarte ich nicht vor 2021, eventuell sogar erst im Jahr 2022“, so Sack.

Protektionistische Tendenzen

Auch aus Sicht von Jenny Eberhardt von GTAI würde die ­Unterzeichnung des Freihandelsabkommens die guten Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Lateinamerika­ weiter festigen. Vor allem die Automobil- und Chemie­industrie sowie der Maschinenbau in Deutschland könnten, ihrer Meinung nach davon durch Zollvorteile gegenüber der Weltmarktkonkurrenz profitieren. Die Voraussetzungen für einen Abschluss sind momentan aber alles andere als optimal. „Aufgrund der Coronakrise steht das Handelsabkommen derzeit nicht oben auf der Prioritätenliste vieler Länder in Lateinamerika. Zudem fördert die Pandemie tendenziell eher protektionistische Tendenzen – nicht nur in dieser Region“, umreißt Eberhardt. Die vergangenen Monate hätten aber auch gezeigt, dass viele lateinamerikanische Unternehmen in der Lage seien, schneller und kreativer auf neue Bedingungen zu reagieren als von vielen erwartet: „Vom Start-up bis zum Global Player wurden sie durch die Krise dazu gezwungen, effizienter zu werden und neue Technologien schneller einzuführen. Die Lieferketten vieler Unternehmen erleben derzeit einen regelrechten Effizienz- und Digitalisierungsschub. Wer das Thema Digitalisierung jetzt nicht aktiv angeht, läuft ­Gefahr, nicht zu überleben. Das eröffnet aber auch Chancen für neue Produkte und Geschäftsmodelle“, versucht sie positive Signale aus der aktuellen Situation zu ziehen.

Gleichzeitig weist sie aber auch darauf hin, dass die wirtschaftlichen Aussichten für Lateinamerika derzeit alles andere als rosig sind: „Viele Staaten wurden hart vom Coronavirus getroffen und haben den Peak der Krise noch nicht erreicht. ­Allein in diesem Jahr soll das Bruttoinlandsprodukt der ­Region laut dem Internationalen Währungsfonds um mehr als neun Prozent zurückgehen. Die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) rechnet damit, dass im zweiten Halbjahr 2020 in Lateinamerika rund 2,7 Millionen Unternehmen schließen müssen und 8,5 Millionen Arbeitsplätze verloren gehen.“ In Anbetracht dieser Zahlen und Fakten scheint der neutrale Beobachter derzeit eher geneigt, Lateinamerika als Sorgenkind statt als Hoffnungsträger anzusehen. Aber auf der anderen Seite hat die Region in der Vergangenheit schon mehrfach bewiesen, dass sie in der Lage ist, Krisen zu meistern. (bre)

„Durch das Freihandels­abkommen würde der Warenhandel zwischen Europa und der Mercosur-Region enorm zulegen.“

Martin Sack, Regional Head Americas von Leschaco

Tankcontainer gelten als sichere, flexible und universelle Transport­lösung für Flüssigkeiten aller Art. Leschaco nutzt sie insbesondere für seine Überseelogistik.

„Ein Indikator für den Welthandel“

Der 81,6 Kilometer lange Panamakanal, der den Atlantik mit dem Pazifik verbindet, ist eine der wichtigsten Wasserstraßen weltweit.

 

Nach Angaben der panamaischen Kanalbehörde ACP passierten im vergangenen Jahr mehr als 252 Millionen Tonnen Frachtgut die dortigen Schleusen – und zwar bei insgesamt 12.291 Durchfahrten. Damit lag die Anzahl der Durchfahrten in den vergangenen drei Jahren konstant über 12.000 und die auf ­diesem Weg verschiffte Ladungsmenge bei über 240 Millionen Tonnen.

„Der Panamakanal ist aber nicht nur eine wichtige Wasser­straße, die den Reedereien die lange Fahrt um das Kap Hoorn oder durch die Magellanstraße erspart, sondern auch ein bedeutender Indikator für die wirtschaftliche Entwicklung in der Welt und in Lateinamerika“, so Dr. Mark Heinzel, Leiter des Referats Nord- und Lateinamerika des Deutschen Industrie- und Handelskammertags. Und Martin Sack, Regional Head Americas von Leschaco ergänzt: „Der Panama­kanal vereinfacht und beschleunigt den weltweiten Handel; die Länder in Lateinamerika profitieren hiervon ganz besonders. Nach Abschluss der Erweiterung im Jahr 2016 können nun auch Postpanamax-Schiffe den Panamakanal durchqueren, und damit noch effektiver Südamerika, die Karibik und die Ostküste der USA mit Asien verbinden.“ Derzeit entfällt rund ein Drittel des durch den Kanal verschifften Volumens (180 Millionen Tonnen) auf die Handelsroute zwischen dem Osten der USA und Asien. Waren mit der Herkunft oder dem Ziel Europa machen immerhin insgesamt 13 Prozent des abgewickelten Ladungsvolumens aus. Nachdem die Einnahmen aus den Kanalpassagen im ersten Halbjahr 2020 noch leicht gestiegen sind, zeichnete sich in den vergangenen Monaten ein Rückgang der Durchfahrten und der transportierten Mengen ab – und dass nicht nur aufgrund von Covid-19.

„Bereits vor Corona hat sich abgezeichnet, dass der Handelsstreit zwischen den USA und China die Warenströme reduzieren würde“, so Heinzel. Das sei für Panama ein schwerer Schlag. Denn rund 3,1 Milliarden US-Dollar nahm die ACP im vergangenen Jahr über ihre Durchfahrtsgebühren ein, das sind fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Doch trotz dieser Entwicklung ist sich Sack sicher: „Der Panamakanal wird seine strategisch wichtige Rolle für Lateinamerika nicht verlieren, sondern eher noch an Bedeutung gewinnen.“ (bre)

In der Regel dauert eine Fahrt durch den Panamakanal zwischen acht und zwölf Stunden. Der Preis dafür berechnet sich nach der Art und Größe des Schiffs. Seit Mai sind die Voraus­zahlungen für Transit­reservierungs­gebühren aufgrund der Pandemie ausgesetzt.

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„Wer wartet, bis ein Markt interessanter wird, hat die Transformation nicht mitgestaltet“

Interview mit Ricardo Castanho, Abteilungsleiter Market Entry and Business Development Services der Deutsch-Brasilianischen Industrie- und Handelskammer in São Paulo

LOGISTICS PILOT: Herr Castanho, wie bewerten Sie die wirtschaftliche Entwicklung Lateinamerikas in den vergangenen Jahren?

Ricardo Castanho: Lateinamerika hat sich in den letzten zehn Jahren wirtschaftlich sehr stark entwickelt. Kolumbien beispielsweise zeigte ein BIP-Wachstum von vier Prozent pro Jahr, Peru reduzierte in signifikantem Maße die Armut im Land, und Chile lieferte Pionierarbeit im Bereich der erneuerbaren Energien. Zudem zeigte sich Brasilien weiterhin mit großem Führungspotenzial sowohl im Agrarsektor als auch im Öl-, Gas- und Infrastrukturbereich. Die gesamte Region bietet große Potenziale in den Bereichen der erneuerbaren Energien, Infrastruktur, Berg­­bau und Digitalisierung. Dabei ist Biogas ein großes Thema für brasilianische und natür­lich auch für deutsche Firmen, die sich für den Tech­nologietransfer interessieren. Auch grüner ­Wasserstoff bietet überraschende wirtschaft­liche, soziale und ökologische Chancen und wird – verankert in Deutschlands jüngster grüner Wasserstoffpolitik – von nun an enorm an Bedeutung gewinnen, insbesondere in Brasilien und Chile.

Mit welchen Herausforderungen haben Sie im Tagesgeschäft besonders zu kämpfen, und auf welchen Gebieten muss sich Latein­­amerika noch verbessern, um für deutsche Unternehmen attraktiver zu werden?

Laut einer Umfrage, die wir unter Vorstands­mitgliedern durchgeführt haben, sind die größten Herausforderungen in der aktuellen Situation die geringe Nachfrage und die geschwächten Lieferketten. Glücklicherweise gaben 68 Prozent der Unternehmen an, dass sich die Anzahl der Beschäftigten nicht verringern wird. Ein Drittel der Unternehmen glaubt, dass das Umsatzniveau von vor der Krise erst 2021 wieder erreicht werden wird. In Gesprä­chen mit potenziellen Newcomern auf dem Weg in den brasilianschen Markt spürt man deutlich, dass das Jahr 2020 für die Mehrheit der Unternehmen eine große Herausforderung darstellt und von vielen als nicht geeignet für neue Maßnahmen im Ausland geschätzt wird. Wir sind aber sehr positiv überrascht, dass durch die Digitalisierung – die übrigens in Lateinamerika schon lange implementiert wird – der hiesige Markt weiterhin für deutsche Unternehmen zugänglich ist. Dadurch haben wir eine hohe Anzahl von Anfragen deutscher Unternehmen im Jahr 2020 erhalten. Allerdings sind Bürokratie und interkulturelle Unterschiede oft Hürden für deutsche Unter­nehmen. Was Lateinamerika deshalb verbessern soll, um attraktiver zu werden, ist je nach Sicht unterschiedlich. Meiner Meinung nach muss man sich immer jetzt und nicht erst später mit der Region beschäftigen. Wer wartet, bis ein Markt interessanter wird, hat die Transformation nicht mitgestaltet und nachher mit völlig anderen Barrieren zu kämpfen.

Einige Experten warnen, dass Lateinamerika erneut zu einer Krisenregion werden könnte – und verweisen dabei auf stagnierende Volkswirtschaften und soziale Konflikte, die sich unter anderem in Massenprotesten entladen. Teilen Sie diese Meinung?

Nein, diese Meinung teile ich nicht. Latein­amerika ist ein gigantischer geografischer Raum, und nicht alle Länder sind vergleichbar. Im Durchschnitt sind diese Demokratien jung, und Massen­proteste bedeuten nicht gleich eine schwere Krise. So wie viele Länder weltweit sind auch lateinamerikanische Länder von der Coronakrise sozial und wirtschaftlich stark betroffen. Die sich entwickelnden Volkswirt­schaften in dieser Region werden nun eine entsprechende Erholungsphase durchmachen müssen. Genauere Zahlen zur BIP-Entwicklung Lateinamerikas im zweiten Halbjahr werden noch veröffentlicht. Brasilien ist aber ein Land, das bereits viele internationale Krisen gut über­standen hat. Wir sind uns sicher, dass wir die Wachstumskurve, die wir vor der Corona­krise hatten, bald wieder fortsetzen können und durch die Reformagenda der aktuellen Regierung das Land wieder zu einem attraktiven Investitionsziel für deutsche Unternehmen machen können.

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